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Was interessiert mich die Welt? Ich bau’ meine eigene.

Urs Odermatt

 

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Der Regisseur, Autor und Herausgeber Urs Odermatt schuf mit seinen Filmen, den Theaterprojekten und den Büchern mit Photographien des ehemaligen Polizeiphotographen Arnold Odermatt international angesehene und wertgeschätzte Arbeiten.

 

Urs Odermatts Filme sind das Gegenteil von Mainstream, Hauptabendfernsehen, Hollywood- oder Subventionskino. Sie sind antizyklisch und disruptiv, und sie nehmen die Tradition handschriftlich-innovativen Erzählens wieder auf, die mit dem Druck zu Konformität und Konsenstugend in den letzten Jahren verschwunden ist.

 

Urs Odermatts Filme streben nach Zeitlosigkeit und Unverwechselbarkeit, nach Arbeit in Selbstbestimmung, die sicherstellt, daß eine Generation später noch jeder weiß, von welcher Geschichte die Rede ist, wenn der Filmtitel erwähnt wird.

 

Urs Odermatts Filme sind elitär und nicht für jedermann, weil es ein aufgewecktes, intellektuelles, diskursfreudiges, ein an Erfahrung, an Neugier oder an Wissen vermögendes Publikum braucht, um sich in dieser Liga unterhalten, verunsichern, provozieren und fordern zu lassen – im Kino, in der Kunsthalle oder am Bildschirm.

Jasmin Morgan

 

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„Kunst darf. Die Polizei darf mehr.“ John Waters versteckte bei der gemeinsamen Ausstellung im Fotomuseum Winterthur die Eifersucht nicht – braucht der Polizeiphotograph eine Aufsicht vom Dach des Polizeibusses in der Straßenmitte, wird die Autobahn gesperrt. Braucht er zu Schulungszwecken einen Stau bis zum Horizont, stehen die Ampeln vor dem Autobahntunnel auf Rot, bis die Autoschlange paßt. Will er der Presse einen flotten Abriß seiner Polizeikompetenzen zustecken, ankert das Linienschiff, und der Schienenverkehr ruht, bis die Rolleiflex die optimale Bildcadrage findet. Zum Glück wußte John Waters nicht, daß Arnold Odermatt als Rentner kraft der Verdienste seiner Uniformjahre die Autobahn zwischen Hamburg und Rom über den kurzen Amtsweg sperren ließ, als ich in der Nähe eine Szene von Wachtmeister Zumbühl drehte. Nur für den sauberen Originalton, wohlgemerkt.

 

Heute lebe ich im Aargau – nicht viel mehr Welt als Nidwalden, aber näher bei Deutschland.

Urs Odermatt

 

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Freunde nennen mich hartnäckig. Feinde stur. Den Unterschied habe ich nie verstanden.

Urs Odermatt

im Gespräch mit Elias Perrig, Sonntagsgast, Radio Pilatus, Luzern, 11. Juni 1989

 

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Ich war kein guter Journalist. Keine fünf Zeilen, ohne daß ich dazu ein paar farbige Details erfand. Meine Überarbeitung der Wirklichkeit kam schlecht an. Ich war fassungslos und beleidigt.

Urs Odermatt

im Gespräch mit Roger Schawinski, Doppelpunkt, Radio 24, Zürich, 4. Juni 1989

 

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Das Leben entkrempeln ist das beste, was man tun kann. Macht Kopf und Gedanken frei. Ich habe mich von allem getrennt, das ich nicht einmal im Monat brauche. Außer Büchern und Datenträgern – die sind eingesperrt in die Bibliothek. Ich habe hier viel Platz mit nichts und weißen Wänden. Die Einrichtung sind Planen und Schreiben. Hält fit und wach. War ein langer Weg vom Ex-Messie zum Coming-out des schnäubigen Minimalisten, aber das Verabschieden des Meisten und das Händeschütteln des Wenigen hat sich gelohnt.

Urs Odermatt

E-Mail an Michael Birkner, 11. Oktober 2020

 

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Neben den Arbeiten für das Bremer Theater spielte ich 2002 in der Uraufführung Der böse Onkel des Schweizer Autors, Filmemachers und Regisseurs Urs Odermatt eine der weiblichen Hauptrollen im Theater Reutlingen Die Tonne und ein Jahr später in seiner Inszenierung von Arthur Millers Hexenjagd bei den Freilichtspielen Chur die Abigail, die weibliche Hauptrolle. Für die Arbeitsweise Odermatts ist es typisch, daß er seine Darsteller in den extremen Ausdruck treibt, über alle Scham- und Schutzgrenzen hinweg. Ebenso typisch ist für seine Ästhetik, den Umgang mit Sprache regelrecht durchzukomponieren, sie in klangartistischer Weise zu überformen. Nach soviel expressivem Extrem hatte ich das Bedürfnis nach einem Liederabend.

Felicitas Breest

Wie ich wurde, wer ich bin

 

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Polnische Schule

 

Mein Ehrgeiz hat bei Krzysztof Kieślowski und Edward Żebrowski die harte polnische Schule gesucht. Bei einem der Regieseminare in Berlin soll ich folgende Szene schreiben und inszenieren: Ein Todeskandidat in der Zelle bekommt Besuch von seiner Anwältin – sie bringt den Ablehnungsbescheid für das letzte Gnadengesuch. Es gibt zwei Zusatzaufgaben: Die kleine Szene soll eine Komödie werden. Und die beiden Schauspieler sollen die Szene nackt spielen. Wie bitte? Die sieben Regieseminarkollegen lassen mich keine Sekunde aus den Augen: Wird er das einstecken? Kneifen? Zerreden? Komödie – gut, ich gebe der Anwältin leckere Weintrauben in die Hand, mit denen sie dem Ärmsten ein paar letzte Momente vor dem Hängen versüßen will. Weil ihr schreckliches Mandat sie aufwühlt, ißt die Anwältin die Weintrauben selbst – unter den gierigen Augen des Todeskandidaten. Aber warum nackt? Dafür läßt sich kein Grund der Welt aus den Fingern saugen. Die Antwort von Kieślowski und Żebrowski ist ohne Gnade: Weil es die Aufgabenstellung ist! Weil die beiden Regiemeister – und die lauernden Kollegen – sehen wollen, ob ich in der Lage sei, diese Aufgabe ohne Wenn und Aber zu erfüllen. Was tun? Kläglich scheitern vor allen – geht gar nicht!

 

Die Schauspieler kommen ins Studio, und ich tue, was ich immer tue: Ich gebe vor, den Angeboten und Spielversuchen zu vertrauen. Doch dieses Mal ist alles anders: Nichts, was die Schauspieler anbieten, wird mir gefallen. Sie lassen sich nicht entmutigen, geben alles, brennen ein Feuerwerk der Inspiration ab, und wenn mich keine der unzähligen Varianten überzeuge, dann vielleicht die Mischung aus zweien? Doch das Gesicht der Regie bleibt steinern und unzufrieden. Schließlich sitzen wir zu dritt erschöpft am Boden. Er habe sein Handwerk lückenlos abgerufen, meint der Todeskanditat – außer nackt und ohne alles. Dafür gebe es kein Motiv, wende ich ein, das sei eine Todeszelle und kein Bordell. „Laß uns doch probieren!“, läßt sich der Schauspieler nicht abwimmeln, „Weglassen gewinnt oft – vielleicht ergibt sich aus dem Versuch eine Lösung“. Ohne meine Antwort abzuwarten, schlüpft er aus dem Probenkostüm; seine Partnerin will nicht spielverderben und beim unerschrockenen letzten Versuch abseits stehen. So kommt es, daß in der kleinen Seminarszene eine nackte Anwältin einem nackten Todeskanditaten den Ablehnungsbescheid für sein letztes Gnadengesuch in die Zelle bringt – komisch ist die Situation, weil sich der Todeskandidat viel mehr für Titten und Hintern der jungen Anwältin interessiert als für sein baldiges Ableben.

 

Von den Regiekollegen kommt heftiger Widerspruch: Humbug! Bauernfängerei! Schauspieler brauchen Haltungen, Gründe, Motivationen, Subtext, Psychologie. Nicht Willkür. So haben wir das hier gelernt, so entstehe partnerschaftliches Arbeiten. Kieślowski und Żebrowski lassen das nicht gelten. Die Frage „Warum?“ helfe nicht immer, das Lehrbuch sei für schönes Wetter. Hier war eine Aufgabe gestellt; die Aufgabe ist erfüllt. Der Weg darf nett sein – nur das Ziel zähle! Regisseure dürfen die Arbeit mit gezinkten Karten nicht scheuen.

Urs Odermatt

Künstlerhaus Bethanien, Berlin

 

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„Keine Benzin!“

 

Für die nächste Tankfüllung hat mein Gastgeber Juliusz Machulski einen Kumpel klargemacht, der bereit war, in der Nachtschicht bei seiner Tanke an der Ausfallstraße in Łódź bare D-Mark einzustecken. Kaum füllte er mein Auto mit Kraftstoff für die Weiterfahrt, sah ich, wie sich gegenüber ein amtsblauer Nysa der Milicja mit ausgeschalteten Scheinwerfern der Tankstelle näherte. Indoktriniert mit Schweizer Horrorgeschichten über Feuerfolter und Daumenschrauben in kommunistischen Gefängnissen, alarmierte meine Panik Juliusz und den Tankwart an der ratternden Zapfsäule. Die beiden brauchten nicht den Bruchteil einer Sekunde, um die Lage zu klären. „Nie martw się! Kollegen privat hier. Oczywiście. Brauchen Benzin für Transport nach Domek weekendowy.“ Das war die nächste Lektion in polnischem Pragmatismus. Oder polnischer Anarchie.

 

Nicht so beim Ausreisezoll. Ich hatte die Negativfilme meiner Photos durch einen Beamten im Warschauer Kultusministerium versiegeln lassen – eine Provokation! Die Zöllner stellten den unantastbaren Beutel mit Amtsstempel aufs Autodach und lösten als Kompensation für diese hauptstädtische Unverschämtheit jede Schraube und jede Niete. Der Volvo stand zwölf Stunden an der Grenze. Die Tschechen hatten Mitleid und luden mich zu Becherovka in ihren Schuppen ein: Leider weitere zwölf Stunden Zwangspause – die ČSSR hatte eine harte Promillegrenze: 0,0.

Urs Odermatt

zu Heide Springer, Paris-Bar, Berlin 2017

 

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Nach den beiden Spielfilmen Gekauftes Glück und Wachtmeister Zumbühl ist Chnebelgrind (Dickkopf) mein drittes Mundartprojekt. In den Jahren dazwischen, in denen ich vorwiegend in Deutschland gearbeitet habe, hat sich die Schweizer Kinoszene grundlegend verändert: Mußte ich damals, trotz des Publikumerfolgs von Gekauftes Glück, erklären, warum die Personen im Film Nidwaldner Mundart sprechen, hätte ich heute eher Erklärungsprobleme, wenn ich mich für Deutsch als Dialogsprache entscheiden würde. Im Unterschied zu den beiden früheren Filmen, in denen die Schauspieler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz im Nachhinein von Laien in den Dialekt der Gegend nachsynchronisiert wurden, wird in Chnebelgrind das Glarnerische die Originalsprache sein. Das bringt dem Film mehr Authentizität und sympathischen Lokalkolorit, zumal mit Herbert Leiser der einheimische Autor zugleich einer der drei Hauptdarsteller ist, wir mit Walter Andres Müller einen der virtuosesten Mundartsprecher haben und der dritte Protagonist, der Schaffhauser Mathias Gnädinger, einen zugezogenen Schaffhauser spielt.

 

Verändert hat sich auch der Erzählrhythmus. Chnebelgrind wird ein atemberaubendes Tempo haben, wie es sich für eine Komödie gehört, ein Tempo, das weniger durch eine hektische oder gar entfesselte Kamera angetrieben wird, als vielmehr durch einen modernen Schnitt, der auf das videoclipgewohnte Publikum baut, das durchaus auch schon älter ist und eine schnelle Erzählsprache nicht nur dechiffrieren kann, sondern Tempo und nicht immer nur additives Erzählen wünscht. Langeweile ist im Kino ein hartnäckiger Gegner, und Tempo und Raffinesse sind gute Werkzeuge, ihn in die Schranken zu weisen.

 

Angeliefert bekommt der Schnitt die Bilder des Kameramanns Piotr Lenar, der sein Handwerk in der berühmten polnischen Bilderschmiede gelernt hat und – zusammen mit Buch und Besetzung – in vorderster Stelle dafür steht, daß mit Chnebelgrind großes Kino entsteht. In der Découpage werden wir eine Filmsprache finden, die die Geschichte in erster Linie in weiten Totalen in die grandiose Landschaft des Walensees bettet und in nahen und großen Einstellungen auf den Gesichtern der Schauspielern erzählt, immer in leichter Bewegung der Kamera, verdichtend, abstrahierend oder durch Verändern der Perspektive kommentierend. Dies auf Kosten von unverbindlichen mittleren Einstellungsgrößen, die oft alles und nichts zeigen.

 

Eine moderne Filmsprache im Fach Komödie bedeutet schnelle Dialoge mit knappen Anschlüssen. Schon in der Drehbuchphase habe ich die Autoren mit Nachdruck ermuntert, sich in der Dialogführung knapp zu halten. Vor der Kamera werde ich darauf achten, daß sich die Schauspieler in den Texten nicht bequem einrichten und die Dialoge mit Füllworten verwässern, sondern in der ländlichen Lakonie der Szenen schnell und antreibend bleiben, in Text und Subtext präzise denken und nicht Versuchung geraten, mangelnde Stringenz im Timing mit forciertem Spiel zu kompensieren.

 

Getreu dem alten Regiegesetz, daß in Komödien in der Regel entweder die Schauspieler oder das Publikum lacht, aber meist nicht beide, möchte ich die Komik in Chnebelgrind im kalten, schnellen Spiel mit präzisen Pointen suchen, ohne wohlfeiles Einleiten oder lachenforderndes Nachwarten. In diesem Zusammenhang bin ich sehr gespannt auf die Besetzung von Walter Andreas Müller, mit dem ich schon lange arbeiten wollte, weil ich sein Handwerk achte und überzeugt bin, daß wir zeigen werden, daß das Wegschließen in die Comedyschublade diesem Schauspieler nicht gerecht wird.

Urs Odermatt

 

Chnebelgrind (2007)

Buch: Herbert Leiser, Jürgen Ladenburger (1955–2009)

Regie: Urs Odermatt

Produktion: Rudolf Santschi, Triluna Film AG

 

nicht realisiert

 

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Beim Film ist alles das Wichtigste. Das Schreiben. Da wird die Geschichte gezeugt, geboren und über die Abgründe der Pubertät geführt. Die Phantasie der Schauspieler. Die Langmut des Produzenten. Die Überstunden der Ausstattung. Die Kamera! Regisseur und Kameramann sind wie Mann und Frau, zwanzig Jahre später. Alle Fragen sind gestellt. Alle Diskussionen geführt. Jeder Streit durchgetobt. Man kennt des anderen Macken, Geschmack, Hysterien. Ein Blick, ein Wort, eine Geste, ein grimmiges Knurren reicht, um sich zu verstehen. Und dann erst der Schnitt... Beim Film ist alles das Wichtigste.

Urs Odermatt

25. Solothurner Filmtage

 

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Die Geschichte des Arnold Odermatt ist eine der ungewöhnlichsten der Kunstwelt. (...) Eigentlich bat er als junger Polizist nur darum, Unfallprotokollen eine Photographie beifügen zu dürfen – die üblichen Zeichnungen erschienen ihm umständlich. Da sein Vorgesetzter skeptisch reagierte, entwickelte Odermatt seine Aufnahmen heimlich im Badezimmer und legte sie in die Akten. Das Gericht äußerte sich lobend, und so wurde in der Besenkammer des Polizeireviers eine Dunkelkammer eingerichtet.

 

Als der Beamte Anfang der neunziger Jahre pensioniert wurde, entdeckte sein Sohn, der Regisseur Urs Odermatt, bei den Recherchen zu seinem Film Wachtmeister Zumbühl (1994) vierzig Jahre archivierter Verkehrsunfälle im Kanton Nidwalden: handwerklich perfekte Schwarzweißaufnahmen verkeilter Traktor- und Borgward-Karosserien, von Schulbussen, Motorrädern, Porsche aus der Stadt mit auf der Motorhaube festgeschnallten Skiern. Es sind akkurate Kompositionen aus Blech, Chrom, Bremsspuren, Gebirgsketten und Wolken.

 

Dieses Werk eines unbestechlichen Ordnungsmenschen, der maximale Objektivität suchte, tauchte Mitte der neunziger Jahre erstmals in Photokreisen auf. 1998 sah Harald Szeemann die Bilder, ausgestellt im Frankfurter Polizeipräsidium, und lud den peniblen Pensionär 2001 auf seine Biennale ein. Die Photobücher Odermatts sind bis heute begehrt: Der umfassende Bildband Karambolage war eine Weile vergriffen, 2013 wurde er überarbeitet wiederaufgelegt, genau wie die Bände In zivil, mit minutiös festgehaltenen Familienszenen der Odermatts, und Im Dienst, eine photographische Imagekampagne für den Beruf des Kantonspolizisten.

 

In Wachtmeister Zumbühl deutet Urs Odermatt neben dessen obsessiver Pflichttreue einen weiteren Aspekt der Beamtenpersönlichkeit an. „Wie soll ich es sagen?“, fragt der Wachtmeister, er meint die unvermeidlichen Hausbesuche bei Angehörigen der Verkehrsopfer. Hinter jedem Autowrack steckt ein Schicksal. Der Polizist Arnold Odermatt setzte seine photographische Unerbittlichkeit nicht nur für Recht und Ordnung ein, sondern auch gegen die Ungeheuerlichkeit der sinnlosen Tode.

Monopol, Berlin, 22. Juni 2021

 

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Gottfried Odermatt

Der Dorfelektriker, der das stufenlose Getriebe erfand

 

Nachdem das Nidwaldner Volksblatt eine erste kurze Notiz gebracht hatte, ging die Nachricht von der Erfindung des stufenlosen Getriebes durch die gesamte Schweizer Presse, und so wurde Gottfried Odermatt in das Rampenlicht der Öffentlichkeit gerückt, in dem es ihm aber gar nicht behagt. Denn Berühmtheit ist es nicht, was er sucht, im Gegenteil. Das ganze Getue ist ihm peinlich, und lieber sitzt er oben auf der großen Veranda seines einfachen Buochser Heimes und raucht sein kurzes Pfeifchen.

 

Und so empfängt er uns auch: im Liegestuhl sitzend und das Pfeifchen in der Hand, indessen uns Mutter Anna, seine wackere Ehegefährtin, eine Schachtel Konfekt und ein Glas Wein vorsetzt. Mit ihr hatten wir am Morgen am Telephon gesprochen, und das Gespräch hatte sich zuerst gar nicht sehr verheißungsvoll angelassen. Der Mann, hatte sie gesagt, habe einen Autounfall erlitten und müsse jetzt liegen, und wenn es wegen des Patentes sie, dann könne er halt noch nichts sagen, das sei noch nicht entschieden und werde erst auf seine Brauchbarkeit geprüft.

 

Es sei nicht wegen des Patentes, hatten wir geantwortet, von dem wollten wir nichts wissen. Nichts? Ja, dann sollten wir ruhig kommen, es werde schon gehen. – Und dann empfing sie uns mit einer Herzlichkeit und einer Gastfreundlichkeit, wie man sie nur noch bei einfachen Menschen auf dem Lande findet.

 

So saßen wir auf der Veranda und verplauderten eine gemütliche Stunde. Wenn sie heute morgen am Telephon  etwas abweisend gewesen sei, sagte Mutter Anna, dann sollten wir ihr das nachsehen, denn es sei auch gar ein Treiben gewesen, nachdem die Meldung in der Zeitung gestanden habe. Du meine Güte, den ganzen Tag über sei das Telephon gegangen. Patentanwälte, Patentbüros, Patentjäger wahrscheinlich auch, Agenten, Ingenieure, Fabrikanten, Konstrukteure und weiß der Gugger wer alles, alle hätten sich gemeldet und Einblick in die Erfindung haben und sie ziemlich unverfroren nach dem Geheimnis aushorchen wollen. Aber sie habe nichts gesagt, und im übrigen sei die Erfindung schon an eine Fabrik abgetreten worden. Doch sei auch das eine Geschichte für sich...

 

Wie er drauf gekommen sei, fragten wir den vom Unfall beinahe wieder ganz genesenen Erfinder, der aber gar nicht viele Worte macht. Ja, das sei einfach gewesen. Als er nämlich vor zwei Jahren seine alten Klassenkameraden in Zug getroffen habe, hätte der Car, in dem sie reisten, nur mit Mühe eine Steigung erklommen. Wie viel leichter ginge es, habe er sich dabei gedacht, wenn der Wagen über ein stufenloses Getriebe verfügen würde, wie das Tram. Und dann habe er sich in Gedanken immer ein wenig damit beschäftigt – bei etwas Wurst und Wein kämen ihm übrigens die besten Gedanken und sei dann diesen Frühsommer, als es im Geschäft etwas flauer ging, zwei Monate ins Oberstübli gezügelt und habe sich die Sache gründlich überlegt und ausgerechnet, bis er’s gehabt habe. Und eines Tages, ergänzt Mutter Odermatt, habe er die Pläne vor ihr ausgebreitet und gesagt, das wolle er jetzt anmelden. Und dann habe er die Erfindung einigen Fabriken angetragen, doch da er nicht im Zylinder erschienen sei, habe man ihn im Vorraum sitzen lassen und abgewimmelt. „Kennen wir bei uns in Deutschland schon lange!“, hätte ihm ein deutscher Ingenieur gesagt, und der Vater habe sich etwas entmutigen lassen, doch habe ihm dann ein Sachverständiger bestätigt, daß es sich um eine epochale Erfindung und um ein Ei des Kolumbus handle.

 

In der Jugend hatte er nichts lernen können und wäre fürs Leben gern Mechaniker geworden. Er half da und dort ein wenig aus und kaufte sich für sein karges Taschengeld Lehrbücher und Heftchen zum Selbststudium, und als er Mutter Anna heiratete, da habe er in die Ehe mehr Heftchen als Hemden mitgebracht. Es sei eine schwere Zeit gekommen; sie hätten eine kleine Fuhrhalterei aufgetan, doch just in dem Moment, da das Auto die Pferde zu verdrängen begann und für die Fuhrhalter keine Arbeit mehr zu tun blieb. Vater Odermatt habe dann wieder da und dort gearbeitet und aus eigener Erfindung einige Lichtanlagen auf den Alpen gebaut. Doch Geld war damit nicht zu machen; es kamen mehr Kinder als Geld ins Haus, fügt Frau Odermatt bei, sechs Kinder, von denen eines starb und ein Sohn in Amerika lebt. Es waren bittere Zeiten, so bittere, daß der fast 40jährige sich einmal bei Nacht aufmachte, um weit am Brünig oben Arbeit zu suchen. Er fand Arbeit, aber die Not blieb. Dann kam das Bannalpwerk und die fortschreitende Elektrifizierung im Kanton Nidwalden, und der heute 61jährige beschloß, als 45jähriger die Fachprüfung als Elektriker nachzuholen. Er studierte zuhause und bestand die Prüfung in Olten; dann baute er sich in Buochs sein kleines Geschäft auf, und es begannen für ihn und seine große Familie bessere, wenn auch nicht gute Zeiten.

 

Ich gebe nichts zurück, sagt er, von dem, was ich durchgemacht habe, ein Mann muß etwas durchmachen können. Er erzählt von seinem Schulkameraden und Jugendgespann Philipp Etter, der auch hart untendurch mußte, ehe er es zu etwas brachte. Und heute? Reichtümer verspricht er sich keine von seiner Erfindung und würde, selbst wenn es ihm gut ginge, sein Arbeitsgwändli nicht ablegen. Und Mutter Anna fügt bei: „d’Liit mainid etz, mier sigid riich. Oh je! Aber wemmer hättid und vermechtid, de wiremer de Arme e chli gää. Mier hän’s no nid vergässe, wiä das isch, arm z’si!“

Das Portrait

Die Tat, Zürich, 9. September 1955

 

Gottfried Odermatt ist der Großvater von Urs Odermatt

 

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Am 8. Juni 1993 ging das lange Leben von Anna Odermatt-Gander – s’Chäs-Ganders Anneli – zu Ende. Anna Odermatt entschlief im Diakonissenheim in Locarno, wo sie seit zwei Jahren gepflegt wurde.

 

Anna Gander wuchs in der Polizeihostatt an der Stansstaderstraße zu Stans auf. Sie heiratete den Zuger Bauernsohn Gottfried Odermatt, einen strammen Dragoner. Gottfried ließ sich als Transporteur nieder, damals mit einem eisenbereiften Saurer. Später zog die Familie von Stans nach Beckenried. In den dreißiger Jahren – viele Männer fanden keinen Verdienst, und eine Arbeitslosenversicherung kannte man nicht – bildete sich Gottfried als 43jähriger zum Elektriker weiter und eröffnete 1937 an der Ennetbürgerstraße in Buochs ein Elektrofachgeschäft. Während Anna den kleinen Laden führte, kümmerte sich Gottfried als helfender Engel um defekte Lampen auf staubigen Heuböden in den obersten Berghütten von Buochs und Ennetbürgen bis Riemenstalden und erfand nebenbei ein stufenloses Motorengetriebe. Der um diese Leistung entfachte Wirbel  in der Schweizer Presse – anfangs der fünfziger Jahre – hielt Gottfried keinen Augenblick vom gemütlichen Pfeifenrauchen ab.

 

Anna Odermatt-Gander schenkte sechs Kindern das Leben. Den Erstgeborenen verloren die Eltern nach wenigen Tagen. Später wurde Anna vielfach Großmutter und sieben Mal Urgroßmutter. Nach der Pensionierung zog das Paar 1959 in die „Casa Bella Vista“, einen halbstündigen Fußmarsch über Sementina, wo Gottfried 1969 starb. Später zog Anna nach Bellinzona – die älteste Tochter Anna wohnte mit ihrer Familie in der Nähe. Bis zum 98. Altersjahr führte Anna Odermatt-Gander selbständig den kleinen Haushalt an der Via Alessandro Fleming. Sie bekam viel Besuch von Kindern, Enkeln, Verwandten, Freunden und Bekannten, viele aus dem geliebten Nidwaldnerland. Bis ins hohe Alter blieb Anna Odermatt-Gander eine erstaunliche geistige Regsamkeit. Sie begeisterte die Gäste mit Erzählkunst, Gedichten, Gesang und Jodel. Nach 97 Jahreswenden und 388 Jahreszeiten mußte Anna Odermatt-Gander wegen körperlicher Schwächen ins Pflegeheim, wo sie zum „Hausliebling“ des Pflegepersonals wurde. Mit 98 Jahren engagierte sie das Schweizer Radio als Photomannequin für eine Plakatkampagne mit Ueli Beck nach Zürich. Anna machte mit Freude mit und unterhielt in den Arbeitspausen den Photographen mit Witz und Gesang.

Anna Odermatt-Gander

1893–1993

Urs Odermatt, 1955 in Stans, Nidwalden, geboren und arbeitet seit 1983 für Film, Fernsehen und Theater. Seine Ausbildung in Regie und szenisches Schreiben erhielt er bei den beiden polnischen Altmeistern Krzysztof Kieślowski und Edward Żebrowski. Zusammen mit dem Kameramann Rainer Klausmann gründete er 1989 die Nordwest Film AG.

 

Urs Odermatt ist der Sohn des Photographen Arnold Odermatt und gibt seit 1993 dessen Werk heraus (Galerie Springer Berlin. Steidl Verlag, Göttingen). Bei den Recherchen zum Spielfilm Wachtmeister Zumbühl entdeckte er 1992 das Photoarchiv seines Vaters und stellte die Arbeiten zu den Werkgruppen Karambolage, Im Dienst, In zivil, Feierabend und Die Nidwaldner zusammen.

 

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Na, immer ist nett, wenn aus altes Schüler wird neues Kollege.

Krzysztof Kieślowski

 

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Mit dreißig den Arsch voll Schulden, mit vierzig die schwarze Null, mit fünfzig ein eigenes Zuhause, mit sechzig eine große Klappe – ein Künstlerleben.

Urs Odermatt

 

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Urs Odermatt

Nach Jahren in Deutschland lebe ich jetzt im Aargau.

 

Nidwaldner

Das macht’s nicht besser.

 

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Allrad brauchen Sie nicht mehr – im Kanton Aargau gibt es jetzt asphaltierte Straßen und Strom in manchen Häusern.

Urs Odermatt

zu einem bangen Zürcher Journalisten

 

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...äs isch hie etz viu teered und sum hend s Wasser und s Eläktrisch.

Urs Odermatt

zu mutigen Nidwaldner Gästen

 

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...einer dieser typischen Urs-Odermatt-Texte, wie wir sie seit über dreißig Jahren kennen und schätzen!

Christoph Locher

Filmproduzent

 

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Schlecht war ich nicht („...hohe Qualität, Konsequenz in der Darstellung und bestechende Klarheit in der Aussage“. Photo, München, März 1979), aber ich hatte kein Müssen. Ich habe die Rolleiflex ausgemustert und zu schreiben begonnen. Hier fand ich mein Muß. Die Leidenschaft. Diese Luxusprobleme hatte Arnold Odermatt nicht. Es gab keine Wahl. Es gab nur ein Thema. Es hieß Dienst.

Urs Odermatt

über seine kurze Arbeit als Photograph

5. Bieler Fototage

 

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Kultur ist Kür, nicht Pflicht. Festivals, Premièren und Vernissagen sind analoge Events – keimfrei ist bei Künstlern ein Schimpfwort. Digital verhält sich zu live wie ein zerlesenes Pornoheft zur geilen Augustnacht am Flußufer.

Urs Odermatt

E-Mail an Michael Birkner, 11. Oktober 2020

 

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Ein legendäres Gedächtnis

 

Krzysztof Kieślowski und Edward Żebrowski haben Sierżant Zimbuhl – wie sie das Drehbuch nannten – als Dramaturgen begleitet, ohne sie wäre Wachtmeister Zumbühl ein anderer Film; sie sollten ihn als erste sehen! Ich habe die erste Kopie bei Herbert Egli in Zürich aus dem Labor geholt und die 105 Minuten 35-mm-Film als Handgepäck verschnürt, damit der Film bei LOT in der Kabine nach Polen mitreist. Abgesehen vom zollamtlichen Grenzgang war auch die Kodak-Schlepperei recht sportlich. Ich habe über Film Polski in Ochota, in der Warschauer Innenstadt, ein Kino gemietet und eine Vorführung zu dritt organisiert. Kieślowski und Żebrowski haben Wachtmeister Zumbühl gesichtet und mich zu einer Herbatka, einem Täßchen Tee, eingeladen, was ungewöhnlich war, waren die beiden sonst recht sparsam. Zwei Stunden lang wurde ausgebreitet, was an Wachtmeister Zumbühl alles mißlungen wäre, um am Schluß zu versichern, daß es immer ganz nett sei, wenn aus einem ehemaligen Schüler ein Kollege werde. Bevor sentimentale Stimmung aufkam, hat Kieślowski erzählt, daß er sich daran erinnere, mich schon 1983, Jahre vor den ersten Seminaren, in Warschau getroffen zu haben, an einer privaten Feier bei Regisseur Juliusz Machulski sowie dessen damaliger Frau Bożena Stryjkówna an der Ulica Dobosza 1. Ich hätte bereits damals große Filmpläne geschmiedet und ihn auf dem Sofa photographiert. Ich war so platt von Kieślowskis Gedächtnis, daß ich gleich nach der Rückkehr das alte Negativ gesucht habe – tatsächlich, Krzysztof Kieślowski, erst 42jährig, noch vor den großen Erfolgen, im Odermatt-Archiv!

Urs Odermatt

zu Piotr Lenar, Kazimierz, Krakau 2009

 

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Urs, Du kannst mich jetzt faxen.

Piotr Lenar, Krakau

SMS, nach Anschaffung eines Faxgeräts

 

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Ich schreibe jetzt an einer – Achtung: Festhalten! – Miniserie. Geiles Format, glaub mir. Nichts gegen den guten alten Langfilm, aber nicht jeder ist Godard oder Odermatt. Man muß neue Wege gehen, wenn man noch frische Turnschuhe anhat.

Micha Muhl

Meisterschüler bei Urs Odermatt

 

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Der böse Bube des Schweizer Films.

Niko Kappel

Zeit Online, Hamburg, 10. März 2022

 

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Egal. Weitermachen.

Micha Muhl

Filmakademie Baden-Württemberg, Ludwigsburg

 

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„Keine Benzingutscheine in der Botschaft in Bern kaufen. Abzocke!“ Aber Benzinkauf gegen Devisen und Schwarztausch war in der Volksrepublik Polen streng verboten. „Wir machen das, Polski wynalazek!“ Die Aussicht auf eine polnische Erfindung meiner Freunde beruhigte mich nicht wirklich, als sich die Benzinanzeige meines tapferen Volvo 122 S auf der leeren, nächtlichen Autobahn Krakau-Warschau stur gegen Null verschob, mitten im sozialistischen Polen, Anfang der achtziger Jahre.

 

Aus dem Nichts tauchte plötzlich eine Taksówka hinter mir auf. Der Taxifahrer drängte mich an die Seite und bedeutete mir – keiner westlichen Sprache mächtig –, meinen Tankdeckel zu öffnen. Er zauberte einen kurzen Schlauch aus seinem klapprigen Polonez, saugte mit dem Mund den Schlauch mit Benzin aus seinem Tank voll und blies den Nachschub in meine Limousine, bis die mobile Betankung abgeschlossen war. Meinen zugesteckten Fünfzig-Mark-Schein wollte der Taxifahrer nicht haben: Dziękuję bardzo! Schon bezahlt. Cześć!

Urs Odermatt

zu Heinz Badewitz, Filmbühne am Steinplatz

Berlin 1995

 

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Geisenheim, 1. Januar 2009

Lieber Urs und Genossinnen,

das alte Photo von Ihnen und Ihrer jugendlichen Haarpracht überredet mich, über Zeit nachzudenken. Ihr Werkverzeichnis listet schamlos die Jahre und Gelegenheiten unserer Treffen auf. War Reutlingen oder Wiesbaden das letzte Mal? War ich bei Ihrem vierzigsten Geburtstag an der Joe-Orton-Première in Bad Godesberg schon in Rente? Dann haben wir Wachtmeister Zumbühl knapp geschafft! In diesem Jahr werde ich achtzig. Wie lange ist es her, daß Max Peter Amman erzählte, er habe Sie hinausgeworfen, weil Sie ihm überall hereinredeten, und Sie doch für Gekauftes Glück empfahl, eine meiner wichtigsten Produktionen? Ich wünsche privates Glück und gute Sterne für alle Ihre Projekte, Ihr Alfred N.

Alfred Nathan, Redakteur ZDF

15. Oktober 1929 – 7. Juli 2011

 

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Das Deutsche Institut für Filmkunde residierte im Spätsommer 1976 auf Schloß Biebrich in Wiesbaden. Als junger Stöpsel mußte ich für Eberhard Spieß, den damaligen Leiter, Unterhaltungsfilme aus dem Giftschrank auf Publikumstauglichkeit sichten (...reitet für Deutschland, Die Reiter von Deutsch-Ostafrika). Als Lehrling ohne Beschäftigungsauftrag, zivildeutsch hieß das, die paar Mark fünfzig für die Mansarde an der Schiersteiner Straße 20 mußte ich frühmorgens mit Austragen des Wiesbadener Kuriers anschaffen. Es war eine andere Zeit: Deutschland lief ruckzuckzackzack, Deutsche waren noch Deutsche, nicht „die Menschen in Deutschland“, und die Sprache ohne Krempel – kurz, klar, knapp. Ich hatte eine gute Zeit am Rhein – na gut, den Kaffee von damals möchte ich nicht zurück. Ecke Rheingaustraße / Rathausstraße gab’s in Biebrich einen Mexikaner und ein Haus weiter die beste Curry-Wurst südlich der Spree. Aus Thüringer Bratwurst, zu Ostzeiten im Westen kaum erhältlich. Horst – so hieß der Imbißwirt, wenn ich mich richtig entsinne – hatte indes einen Kumpel in der Zone. Was Horst für das volkseigene Tauschgut feil bot, blieb sein Geheimnis.

Urs Odermatt

zu Heinz Badewitz, 45. Hofer Filmtage

 

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Ein geschickter Taktiker, der nie um eine Antwort verlegen ist.

Roland Vogler

Badener Tagblatt, 28. Juli 1989

 

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Anfang der neunziger Jahre hat Urs Odermatt das Werk entdeckt. Nicht der Vater den Sohn entdeckt – der Sohn hat den Vater entdeckt. Eine sehr schöne Geschichte.

Dorothea Strauß

Kuratorin

 

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Arnold Odermatts Sohn, der Regisseur Urs Odermatt, erkannte das genial dilettantische Talent seines Vaters und machte einen Kunststar aus ihm.

Wolfgang Müller

Die Tageszeitung, Berlin, 26. Mai 2007

Davos, 1979

Berlin, 1982

Sementina, 1960

mit Gottfried Odermatt

Gottfried Odermatt wurde auf dem Bergli in Menzingen, Kanton Zug, am 2. Juni 1894 als Sohn des Franz Josef Odermatt und der Christine, geborene Pünter, geboren. Er verbrachte seine Jugend in Menzingen, besuchte dort die Schule und arbeitete anschließend in elterlichen Betrieb bis zu seinem 24. Altersjahr.

 

1918 übersiedelte der nun Verstorbene nach Stans und begann mit jungem Elan eine Fuhrhalterei. Ein Jahr später verehelichte er sich mit Anna Gander, einer Tochter des Käsehändlers Gander in Stans, die ihm 1920 den ersten Sohn – leider tot – gebar. Zwei Jahre später durfte er sich aber an einem weiteren Sohn erfreuen, dem nach und nach bis 1930 weitere vier Kinder folgten.

 

Mit dieser stattlichen Familie hatte Gottfried Oderrmatt bald Mühe, seine Lieben zu ernähren, da die Fuhrhalterei vom kommenden Auto verdrängt wurde. Um die Krise zu überwinden, verkaufte der nun Verstorbene die Fuhrhalterei und arbeitete für wenige Franken in der Werkstätte der Kalksteinfabrik Beckenried, wo er mit ganzem Einsatz seine Kräfte der Firma zur Verfügung stellte, um seiner Frau und seinen Kindern ein, wenn auch sorgenvolles, doch ein Leben ohne Hunger zu bieten.

 

Während diesen zwei strengen Jahren in der Werkstätte setzte sich der strebsame Familienvater Abend für Abend an den Zeichentisch und bildete sich in Fernkursen zum Elektriker aus, wo er in seinem 45. Altersjahr eine vorzügliche Prüfung in Olten ablegte. Nach dieser Prüfung bekam der nun Verstorbene eine Konzession des Kantons Nidwalden und baute ein Elektrogeschäft auf. Um seinen Tatendrang zu stillen, opferte er wieder seine Freizeit, wobei er seinen Erfindergeist mit verschiedenen Problemen beschäftigte, so daß er auch hier mit kleinen Erfolgen belohnt wurde.

 

1957 verkaufte Gottfried Odermatt aus Gesundheitsgründen sein Geschäft in Buochs und siedelte 1959 ins Tessin nach Sementina, wo er mit seiner Frau in der eigenen Casa Bella Vista den Lebensabend verbrachte. In den letzten Jahren verschlechterte sich nach einigen Schlaganfällen seine Gesundheit – er mußte ins Spital verbracht werden. Bis zu seinem Hinschied lebte Gottfried Odermatt in den Altersheimen Immacolata, Roveredo, und die letzten zwei Monate im Paganini Rè, Bellinzona, wo ihn am 3. Dezember 1969 der liebe Gott zu sich heim holte.

Anna Odermatt-Gander

Casa Bella Vista, Sementina, 3. Januar 1970

Certificat

 

Mademoisolle Dorly Odermatt de Buochs (Nidwald), née le 26 septembre 1928, a été à mon service du 1er juillet 1947 au 28 février 1948. Durant ce temps je n’ai eu qu’à me Iouer des services de cette jeune fille qui est très habile, propre et consciencieuse dans tous les travaux du ménage et tout ce qu’elle entreprend.

 

Elle aime les enfants et sait très bien les soigner. Elle a un gentil caractère et sait se faire aimer de son entourage. Je ne puis que la recommander chaleureusement aux personnes qui pourraient avoir besoin de ses services

Mme Nicolas Pérona

15, rue Charles Giron

Genève, le 28 février 1948