Eine so dramatische Anekdote wie „Der andorranische Jude“ war für Sie zunächst eine Tagebuchmitteilung. Dann aber machten Sie daraus ein Drama. Wie geht so etwas vor sich? Können Sie versuchen, solch eine Entwicklung ein wenig zu skizzieren? Ich weiß, daß es recht schwierig ist; vielleicht nur andeutungsweise...

 

Erst nach Jahren, nachdem ich die erwähnte Tagebuchskizze mehrere Male vorgelesen hatte, entdeckte ich, daß das ein großer Stoff ist – so groß, daß er mir Angst machte, Lust und Angst zugleich – vor allem aber, nachdem ich mich inzwischen aus meinen bisherigen Versuchen kennengelernt hatte, sah ich, daß dieser Stoff mein Stoff ist. Gerade darum zögerte ich lang, wissend, daß man nicht jedes Jahr einen Stoff findet. Ich habe das Stück fünfmal geschrieben, bevor ich es aus der Hand gab.

 

 

Was haben Sie im Stück, im Unterschied zur Tagebuchnotiz, wesentlich verändert?

 

Eine erste Grundskizze, gekritzelt auf eine Zigarettenschachtel, und dann die vergrößerten Baupläne mit genauen Maßen und genauen Materialangaben, das ist der Unterschied.

 

 

Warum nennen Sie das Stück jetzt nur noch „Andorra“? Glauben Sie nicht, daß die Beziehung auf jenen Kleinstaat Andorra Mißverständnisse erzeugen kann?

 

Andorra ist kein guter Titel, der bessere fiel mir nicht ein. Schade! Was den Kleinstaat Andorra betrifft, tröste ich mich mit dem Gedanken, daß er kein Heer hat, um die Länder, die das Stück spielen, aus Mißverständnis überfallen zu können.

Interview mit Max Frisch

aus: Programmheft zu „Andorra“, Neues Theater, Halle (Saale)

Urs Odermatt Arnold Odermatt The Odermatt Channel The Odermatt Shop Nordwest Film AG, alte Spinnerei 1, 5210 Windisch, Schweiz, +41 56 442 95 90, mail@nordwestfilm.ch Andorra von Max Frisch Theater Stück Dramaturgie Inszenierung Presse Photos

Mutter

Das sagen alle Väter. Ein Kind! ‒ für dich, Can, aber nicht für Andri. (Lehrer schweigt.) Warum sagst du nein?

 

Andri

(Lehrer schweigt.) Weil ich Jud bin.

 

Lehrer

Jud! Jedes dritte Wort, kein Tag vergeht, jedes zweite Wort, kein Tag ohne Jud, keine Nacht ohne Jud, ich höre Jud, wenn einer schnarcht, Jud, Jud, kein Witz ohne Jud, kein Geschäft ohne Jud, kein Fluch ohne Jud, ich höre Jud, wo keiner ist, Jud und Jud und nochmals Jud, die Kinder spielen Jud, wenn ich den Rücken drehe, jeder plappert’s nach, die Pferde wiehern's in den Gassen: Juuuud, Juud, Jud...

 

Mutter

Du übertreibst.

 

Lehrer

Gibt es keine ändern Gründe mehr?

 

Mutter

Dann sag’ sie.

 

Lehrer schweigt, dann nimmt er seinen Hut.