Naturgemäß ist die menschliche Existenz ausweglos. Und naturgemäß ist die Welt nur eine Bühne, auf der alle Menschen naturgemäß ihre Todesrolle spielen. Eine unausweichliche, also naturgemäße Folge dieser pessimistisch-nihilistischen Weltauffassung wäre der Stillstand der Geschichte.

 

Dieser existenzphilosophischen Erkenntnis jedenfalls folgt der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard, dessen Gesamtwerk leitmotivisch und „naturgemäß“ von der totalen Finsternis durchdrungen ist. Am Oldenburgischen Staatstheater soll nun Licht in diese Dunkelheit gebracht werden, zumindest teilweise. Regisseur Urs Odermatt versucht sich an einer Inszenierung des Stückes Der Ignorant und der Wahnsinnige. Ein monothematisches Schauspiel, in dem Bernhard seine Figuren vorzugsweise in Monologen sprechen läßt.

 

Während die „Königin der Nacht“ sich auf die Vorstellung von Mozarts Zauberflöte vorbereitet, wartet ihr trunksüchtiger Vater in einem Restaurant auf seine Tochter. Der „Ignorant“ aus dem Titel des Werks ist dabei in Gesellschaft des „Doktors“. Dieser „Wahnsinnige“ vertreibt dem immer nervöser werdenden Ignoranten die Zeit, indem er einen detaillierten Vortrag über die Sektion einer menschlichen Leiche hält.

 

In seiner Inszenierung wählte Urs Odermatt weniger einen dramaturgischen, als vielmehr schauspielerischen Ansatz. Er will dem Stück durch den Rhythmus und die Sprachmelodie der Charaktere seinen Duktus verleihen. Alle fünf Figuren sind ständig auf der Bühne präsent und sollen durch ihr assoziatives Arbeiten die Schwingungen und Stimmungen innerhalb des Stückes auffangen und modellieren.

 

Die innere Geschichte, die „Seelenlandschaft“, steht Odermatt dabei näher als der naturalistische Raum. Vor einer abstrakten Kulisse sollen die Charaktere das Geheimnisvolle des Stückes aufgreifen und auf eine noch höhere Ebene transportieren.

Sarah Hans

Schwingungen oder Stimmungen

Nordwest-Zeitung, Oldenburg, 11. Januar 2001

Urs Odermatt Arnold Odermatt The Odermatt Channel The Odermatt Shop Nordwest Film AG, alte Spinnerei 1, 5210 Windisch, Schweiz, +41 56 442 95 90, mail@nordwestfilm.ch Der Ignorant und der Wahnsinnige von Thomas Bernhard Theater Stück Dramaturgie Inszenierung Presse Photos

Bei der Uraufführung des Stücks Der Ignorant und der Wahnsinnige im Rahmen der Salzburger Festspiele kam es zum Bruch mit der Festspielleitung, weil der Text am Ende der Aufführung absolute Dunkelheit verlangte und selbst die Löschung des Notlichts forderte. Die feuerpolizeilichen Bestimmungen ließen dies jedoch nicht zu, was Thomas Bernhard aber nicht zu vermitteln war.

 

Im September 1985 mußte sich Thomas Bernhard sich anläßlich der Uraufführung des Schauspiels Der Theatermacher (zu dessen Hauptmotiven ebenfalls das Löschen des Notlichts zählt) bei den Salzburger Festspielen vom damaligen Finanzminister Franz Vranitzky in Anspielung auf die Kultursubventionen vorwerfen lassen, „sich unter Einstreichung guter Steuerschillinge die eigene Verklemmung über dieses Land vom Leib zu schreiben“.

 

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Doktor

Das Genie ist eine Krankheit. Der ausübende Künstler, eine solche Entwicklung, ist ein Krankheitsprozeß, den die Öffentlichkeit mit der höchsten Aufmerksamkeit verfolgt. Eine Stimme, eine solche Koloraturstimme wie die Ihrer Tochter, geehrter Herr, beobachtet die Menge wie auf dem Seil. In ständiger Angst, sie könnte abstürzen. Als hätten wir es mit einem menschlichen Wesen zu tun.