André Ratti skizzierte zwei Jahre vor seinem Sterben an Aids die Idee, Markus Kutter (Miterfinder der einst kreativsten Werbeagentur) schrieb das Drehbuch, Urs Odermatt führte Regie: Der Tod zu Basel, er holt sich seine Leute mit einem Mal wieder so, daß Ratlosigkeit sich breitmacht. Namentlich die Pathologen wissen den Lebenden nicht mehr mit Ursache und Folge zu dienen. Ihr Befund: Kein Befund! Da fehlt dann die Beruhigung für die Bleibenden. Über diesem Abgrund versuchen sich die Bürger zu behaupten, und auf dieser Handlungsebene entwickelt sich die Geschichte, gelegentlich belebende Züge der Kriminalstory annehmend. Der alte Arzt (Dietmar Schönherr) setzt Basels historische Figuren des Totentanzes auf den Stadtplan, auf die Sterbeorte, und erkennt die einzige offenkundige Gesetzmäßigkeit: die Parabel, die sich im Unendlichen verliert – und zwingend wiederkehren muß.
Das Studierzimmer stammt aus der Zeit grassierender Pestilenz, die Autos waren neu in den Baujahren der ersten Wasserstoffbomben, die TV-Direktübertragung vom Bett des Aidskranken ist von heute und morgen. Das Immerwährende des Totentanzes durchdringt die Zeit und die Handlungsebenen, macht folgerichtig auch nicht halt vor dem Schneidetisch, auf dem Der Tod zu Basel für die Zuschauer sichtbar montiert wird, der Tod Regieanweisung erhält, auf seinem (Basler) Piccolo Erik Satie zu spielen. Der Reigen wird nicht aufgelöst, denn die Geschichte ist kein Märchen, sie ist vielmehr dem Leben und dem Tod abgeschaut, vielschichtig ist sie, mystisch und wundervoll unzeitgeistig. Ein Fanal aus den depressiven Niederungen der oberrheinischen Tiefebene, doch frei von Tranigkeit und Psychomuff, dank der (deutschen) Schauspieler von neuer schweizerischer Qualität und ohne falsche Langsamkeit.
Morpheus
Ohne Tranigkeit und Psychomuff
Die Weltwoche, 30. Januar 1992
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In einem Tramwagen der Basler Verkehrsbetriebe bleibt an der Endstation eine Frau einfach sitzen: Sie ist tot. Auf einer Bank in einer öffentlichen Parkanlage ergeht es wenig später einem Stadtstreicher nicht besser. Dann ereilt den ehemaligen Polizeidirektor das gleiche Schicksal. Schließlich erwischt es ein kleines Mädchen: Die Menschen in Urs Odermatts Fernsehfilm Der Tod zu Basel sterben ohne ersichtlichen Grund. Der Gerichtsmediziner Huber (Siegfried Kernen) stellt jedesmal fest: „Todesursache unbekannt.“ Sein Chef, Professor Rüegg von der Pathologie (Nicolas Lansky), ist erbost – weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Die Presse bauscht die Fälle auf, die Politiker suchen nach Ausreden.
Professor Rüeggs Assistent Andreas Zinstag (Stephan Walz) wohnt bei seinem Onkel, dem pensionierten Arzt Jean-Jacques Zinstag (Dietmar Schönherr), der sich schon immer für alternative Denkmodelle interessiert hat. So sucht er auch jetzt nach einem geistigen Hintergrund der Ereignisse. Es zeigen sich Entsprechungen zwischen den Opfern und den Figuren des berühmten Basler „Totentanzes“. Darüber hinaus entdeckt Zinstag: Die mysteriösen Todesfälle liegen geographisch auf einer Spirale, deren Ende sein eigenes Haus ist. Als der Tod (Ueli Jäggi) dann eines Tages tatsächlich bei ihm anklopft, ist er vorbereitet.
Die episodenhaft aufbereitete und mit Krimielementen durchsetzte Fantasy-Geschichte spielt auf der Ebene eines Films im Film. Dieser Film wird vom Journalisten André (Günter Lamprecht) gedreht, während sich Basel auf seine Fasnacht vorbereitet. Andrés Lebensgefährte Harry (Ueli Jäggi), ein Schauspieler und Musiker, spielt im Film die Figur des Todes. Doch auch andere Figuren des Films im Film treten auf der „realen“ Ebene in Erscheinung: So erweist sich Professor Rüegg als einer jener sturen Schulmediziner, die ihre Patienten nur als klinische Fälle betrachten. Und Andreas Zinstag ist ein Assistenzarzt, der nach einer medizinischen Untersuchung André mitteilen muß, daß dieser an Aids sterben wird. Damit kommt auf beklemmende Weise eine dritte Ebene ins Spiel, die mit der Entstehungsgeschichte des Films zusammenhängt. Ältere Kenner der Medienszene werden im Journalisten André unschwer André Ratti, den seinerzeitigen Leiter des DRS-Wissenschaftsmagazins Menschen, Technik, Wissenschaft erkennen. Rattis schockierendes Selbstbekenntnis vor laufender Kamera, er sei homosexuell und habe Aids, wird vom Journalisten André im Film wiederholt. Mit Günter Lamprecht wurde wohl einer der wenigen Schauspieler gefunden, die durch ihre überzeugende Ausstrahlung in der Lage sind, Rattis Worte ohne jegliche Peinlichkeit auszusprechen.
Daß Rattis tragisches Schicksal überhaupt in diese filmische Totentanz-Beschwörung hineinverwoben wurde, hat seinen guten Grund: André Ratti war es nämlich, der als erster die Idee zu einem Film hatte, in dem das mittelalterliche Totentanz-Motiv in die Gegenwart verlegt wird. Ratti wohnte damals in einer Wohnung am Rhein gegenüber dem ursprünglichen Standort des „Totentanzes“, „den Totentanz im Rücken und die Chemie im Visier“, wie Markus Kutter es formuliert, der vom damaligen MTW-Redaktor gebeten wurde, ein Drehbuch zu diesem Thema zu schreiben. Es entstand eine erste Drehbuchfassung, mit der der Autor nicht zufrieden war. „Dann erkrankte André Ratti an Aids und starb“, erinnert sich Markus Kutter. „Der Film war unmöglich geworden. Bis ich im Gespräch mit Dramatik-Chef Martin Hennig begriff, daß der Stoff unterdessen noch eine ganz andere Dimension bekommen hatte: Ein Mann der Medien entwirft einen Film über den Tod zu Basel – und wird von seiner Geschichte selbst eingeholt.“
Daß Der Tod zu Basel, wie er nun vorliegt, nicht nur düstere, sondern auch ausgesprochen skurrile und groteske Elemente enthält, ist durchaus im Sinne des verstorbenen André Ratti – und des jungen Schweizers Urs Odermatt, dem es vortrefflich gelang, die verschiedenen Handlungsebenen und Motive miteinander zu einer ebenso beklemmenden wie sarkastisch-heiteren Bilderfolge zu verschmelzen. „Man muß sich über den Tod lustig machen können“, sagt Odermatt, der seinerzeit schon in seinem Spielfilm Gekauftes Glück bewies, wie gut er tragische Motive mit schwarzem Humor aufzulockern versteht.
Gerhart Waeger
Ein Totentanz in Krimimanier
TR7, Zürich, 4/1992
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Unter den Journalisten des Schweizer Fernsehens DRS war André Ratti (1935-1986) der philosophische Kopf. Der gebürtige Basler, der eine Lehre als Buchhändler absolviert hatte, war ein begieriger Leser, und über alles liebte er die Debatte. Sein Denkvermögen war scharf, und wenn er formulierte, was er auf eine virtuose Art konnte, kam es immer wieder zur Provokation. Nicht so sehr darum, weil er auf die Pointe setzte – so herauszufordern erschien ihm zu kostenlos –, sondern aus dem Grunde, daß er sich weigerte, das Leben, das eigene sowohl wie das gesellschaftliche, zu harmonisieren. Niemand wird je seinen Auftritt vergessen, als er, eben Präsident der Aids-Hilfe Schweiz geworden, sich öffentlich zu seiner Krankheit bekannte.
Da André Ratti, publizistisch am Bildschirm, aber auch schreibend, einer war, der nicht verdrängte, war er auch nicht versucht, den Tod zu tabuisieren. War für ihn der Tod auch nicht die Quelle der Frömmigkeit, die Erfahrung von dessen ständiger Gegenwärtigkeit jedenfalls war der Ursprung seines Nachdenkens. Das machte ihn zu einem Unbequemen, wie er denn das Bequeme auf keinen Fall liebte. Basel dünkte ihn wie keine andere Stadt unseres Landes der Ort zu sein, an dem manifest geworden ist, daß der Gedanke an den Tod dabei hilft, das Leben zu erringen.
Der Totentanz, so sinnierte André Ratti, hat in Basel eine kulturelle Tradition, und zwar nicht einzig in der klassischen Gestaltung des Themas in Hans Holbeins Holzschnitten. Entschieden stärker in das öffentliche Bewußtsein eingewirkt hat die Darstellung des Todes von Basel auf der Kirchhofsmauer des Dominikanerklosters, die berühmteste, wenn auch nur mehr in Kopien erhaltene Darstellung auf deutschem Sprachgebiet. Es war keineswegs eine apokalyptische Neigung, die André Ratti auf die Idee brachte, das so vertraute Thema des Totentanzes in einem Film, der den Charakter eines Reigens haben sollte, neu aufzunehmen. Markus Kutter, den er zum Schreiben eines Drehbuchs animierte, muß übereinstimmend mit ihm den Antrieb verspürt haben, das Thema dem in unserer Konsumwelt wuchernd sich ausbreitenden Tabu zu entreißen zu versuchen.
Als André Ratti starb, erwies sich die weitere Arbeit an diesem Drehbuch als unmöglich. Jahre der Distanz mußten dahingehen, bevor der Autor wahrnehmen konnte, daß genau dieser eine Tod und die erschütternde Offenheit, wie André Ratti in dessen Erwartung gehandelt hatte, der Darstellung des Themas den eigentlichen dramaturgischen Halt zu geben imstande war. So führte er ins Drehbuch jene Figur ein, welche nun die zentrale Figur des Films ist, einen Filmemacher, der einen Film dreht, dessen Geschichte von rätselhaftem Sterben, das sich die Ärzte und die Behörden nicht erklären können, handelt. Dieser Filmemacher, an Aids erkrankt, macht, wie das André Ratti selber getan hat, sein eigenes Sterben öffentlich.
Sowenig wie die Totentänze des Mittelalters, sofern sie dramatisiert worden waren, geistliche Schauspiele waren, und sowenig die graphischen Darstellungen des Totentanzes eine kirchliche Angelegenheit gewesen sind, tauchen nun auch hier kirchlich-religiöse Überlegungen auf: der Sinn, den der zum Sterben verdammte Filmemacher seinem eigenen Tod zu geben versucht, ist denn auch die Warnung an die Gesunden, sich der Wirklichkeit zu stellen, sich nicht in die Verdrängung davonzustehlen, nicht gottergeben abzuwarten.
Der Film, unter dem Titel Der Tod zu Basel zustande gekommen, ist von Urs Odermatt realisiert worden. Die Wahl dieses Regisseurs überrascht, kennt man von ihm bisher doch eher Derbes (wie Gekauftes Glück). Daß offensichtlich auch eine andere Möglichkeit in ihm lebendig ist, bringt er nun an den Tag. Obgleich man zuweilen doch wieder mit szenischen Augenblicken konfrontiert wird, in denen ein Anflug von bloßem Narrenspiel spürbar wird. Das Thema allerdings bestimmt die Düsternis der Atmosphäre, die, dank vielem Nachtdunkel, stilistisch durchgehalten ist.
Die Form des Reigens, angelegt um die zentrale Figur des Filmemachers und dessen Arbeit am Montagetisch, läßt sich erspüren. Doch wird sie immer wieder aufgehoben, weil eben nicht der Tod den Rundgang bestimmt, auch wenn er personifiziert, als schwarz vermummter Edelmann, auftritt. Es ist dieser Bruch, der zwei Ebenen schafft, welcher der Aufmerksamkeit zuweilen zuwider wirkt. Doch gebannt wird sie durch den Anspruch, den die Darsteller, allen voran Günter Lamprecht in der Rolle des Filmemachers, stellen. Hier gewinnt der Film eine Intensität, die er von Bild und Montage her sonst nicht durchgehend besitzt.
ms. (Martin Schlappner)
Blick auf den Bildschirm – „Der Tod zu Basel“
Neue Zürcher Zeitung, 28. Januar 1992
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Fernsehmoderator André Ratti (Menschen, Technik, Wissenschaft) hatte die Idee, einen Film über den Tod zu Basel zu machen. Markus Kutter sollte das Drehbuch schreiben. Ratti erkrankte an Aids, starb im Oktober 1986. Die erste Drehbuchfassung (1983/84) blieb liegen. Erst 1989 griff Kutter den Stoff wieder auf, Schweizer Fernsehen und WDR machten mit, und der Nidwaldner Urs Odermatt inszenierte den dämonischen Tanz um Leben und Tod 1990.
Eine Todesseuche grassiert in Basel. Der Tod schlägt unerwartet zu, plötzlich wie aus heiterem Himmel, ohne Vorwarnung, unerbittlich, endgültig. Mediziner, Wissenschafter, Politiker und Industrielle (Chemie) finden keine Erklärung, keinen Bazillus, keine klinische Ursache. Das Herz steht still. Exitus. Es wird gar erwogen – wie weiland während des Golfkriegs –, auf die Basler Fasnacht zu verzichten. Es gibt kein Entrinnen.
Die Ursachenforscher – der Gerichtsmedizinier Huber (Siegfried Kernen), Kantonsarzt Zäslin (Hans-Michael Rehberg), Professor Rüegg (Nicolas Lansky) und sein Assistent Andreas (Stephan Walz) – stehen einem tödlichen Rätsel gegenüber. Einer hat die richtige Spur aufgenommen, Jean-Jacques Zinstag (Dietmar Schönherr), Arzt im Ruhestand. „Das Leben hört auf. Die Leute sterben am Tod“, sagt er. Keine schleichende Krankheit, keine inneren oder äußeren Verletzungen, der Sensemann höchstpersönlich ist der Verursacher, derjenige, der die Menschen nach seinen eigenen Regeln abberuft. Zinstag entdeckt auch innere Verbindungen zwischen den rätselhaften Todesfällen. „Sie sterben in aller Öffentlichkeit“, und die Todesspirale (auf dem alten, mittelalterlichen Stadtplan) führt zu seinem Haus. Zinstag fängt den Tod (Ueli Jäggi) vor seiner Haustür ab, verleitet ihn zu einem Gläschen Branntwein und schlägt ihm ein Schnippchen, denn er ist nicht allein im Haus, schützt seinen Neffen Andreas, den Jungmediziner...
Diese filmische Parabel ist eingebunden in eine Rahmenhandlung. Wir erleben den Filmer André (Günter Lamprecht) auf dem Set, am Schneidetisch und im Spital. Der Mann, der seinen Lebensgefährten Harry (Ueli Jäggi), Schauspieler und Musiker, überredet, den Sensemann zu spielen, erfährt, daß er an Aids erkrankt ist und übergibt Harry den unfertigen Film. André, der Regisseur, der seine Krankheit publik macht, ist André Ratti. In ihm verknüpfen und vereinen sich Wirklichkeit und Fiktion. Das filmische Spiel vom mysteriösen Todesreigen am Rheinknie wird merkwürdig real, die Parabel vom Tod, der die Menschen persönlich aufsucht, tritt aus den Filmkulissen, von der Tür Zinstags ans Krankenbett Andrés. Der Aidskranke findet sich wieder beim Fährmann, der den Styx überquert und zur Toteninsel (das Bild von Böcklin hängt in Basel) ansteuert. Filmfiguren wechseln sozusagen die Seiten, treten ins (Fernseh-)Leben Andrés. Die Grenzen werden fließend, für den Zuschauer machmal schwer durchschaubar.
Der deutsche Spitzenschauspieler Günter Lamprecht (Berlin Alexanderplatz) bietet eine überzeugende Probe seiner mimischen Kraft. Überhaupt besticht die Verfilmung Der Tod zu Basel vom Nidwaldner Urs Odermatt (Gekauftes Glück) durch seine vortreffliche Besetzung. Nachwuchsschauspielerin Marie-Thérèse Mäder, die eine eher undankbare Rolle als sexy Krankenschwester Gabi zu bewältigen hat, zeigt, was sie hat und an der Schauspielakademie gelernt hat. Szenenkenner werden den alten Radiohasen Christoph Schwegler am Mikrophon wiedererkennen oder den Humoristen Viktor Giacobbo als Polizisten.
Der Film, mit einem Budget von etwa 1,4 Millionen Franken in Coproduktion mit dem WDR hergestellt, fordert das Femsehpublikum, er öffnet sich und verschließt sich. Der Film pendelt, schlägt feine ironische Töne an, macht aber auch vor Klischees nicht halt. Er wird todernst, makaber, aber auch grotesk und burlesk. Der paffende Pathologe Rüegg und das Sexbömbchen in Schwesternkluft, Gabi, die sich mehr naiv als leidenschaftlich dem Herrn im weißen Kittel hingibt, sind Karikaturen, die kaum überzeugen als Figuren.
Der Tod zu Basel entpuppt sich als moderner danse macabre und reißt Themen an, die uns berühren, bewegen, auch wenn wir sie am liebsten verdrängen. Der Tod ist allgegenwärtig, Umweltkatastrophen, Aids und Krebs, Unfälle, Drogen. Der Tod holt das Leben ein, zeigt seine Fratze (im Film kommt er freilich als höflicher Mann in Schwarz daher), macht seinen Job. Schauplatz ist Basel, aber die Geschichte könnte auch anderswo spielen. Daß Basel freilich als Chemiemetropole mehrheitlich nur idyllische Kulisse bietet, ist ein Manko. Die Chemiewerke stehen nur am Rande, sind nicht mehr als ein (drohendes?) Fragezeichen. Hier hätten sich sicher auch andere Interpretations- und Darstellungsmöglichkeiten geboten...
rbr. (Rolf Breiner)
Ein moderner Totentanz am Rheinknie
Luzerner Zeitung, 24. Januar 1992
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Unerklärliche Todesfälle schockieren im TV-Film Der Tod zu Basel die Bevölkerung: Günter Lamprecht spielt einen Journalisten, der selber vom Tod eingeholt wird. Das Drehbuch zu diesem anspruchsvollen Film schrieb Markus Kutter nach einer Originalidee von André Ratti.
Ein Halstuch umgebunden, müde und schwitzend, sitzt André (Günter Lamprecht) am privaten Schneidetisch. Er sieht sich Szenen aus seinem Spielfilm an, in dem mysteriöse Todesfälle die Stadt Basel aufschrecken. Doch André ist selber krank. Die böse Erkältung entpuppt sich als eine Vorstufe zu Aids...
In doppelter Brechung befaßt sich Der Tod zu Basel mit einem der letzten Tabus unserer modernen Gesellschaft, mit dem Tod. Vor etwa fünf Jahren hatte der TV-Mann André Ratti die Idee zu einer modernen Totentanzgeschichte. Der Basler Publizist und Drehbuchautor Markus Kutter: „Dann erkrankte André an Aids und starb. Der Film war unmöglich geworden. Bis ich begriff, daß der Stoff unterdessen noch eine ganz andere Dimension bekommen hatte: Ein Mann der Medien entwirft einen Film über den Tod zu Basel und wird von seiner Geschichte selbst eingeholt.“ In der Tradition des Totentanzes, der ja auch ein skurriler danse macabre sein kann, schrieb Kutter darauf das Drehbuch um. Für die Inszenierung konnte – nachdem etliche abgelehnt hatten – der junge Schweizer Erfolgsregisseur Urs Odermatt (Gekauftes Glück) verpflichtet werden.
Und so tanzt denn der Tod persönlich (Ueli Jäggi) über den Basler Stadtplan und schlägt nach einem alten Vers „König, Kaiser, Edelmann“ und alle andern Stände auch. Nur einer erkennt dieses tragische Narrenspiel: Ein alter, verschrobener Professor (Dietmar Schönherr), der das Spiel annimmt... Nicht vergebens gibt es in der Humanisten- und Chemiestadt Basel einen Platz, der Totentanz heißt.
Auch in künstlerischer Form ist das Thema „Tod“ in Basel immer wieder verarbeitet worden. In kunstvoll-moderner Art und Weise geschieht das jetzt in diesem TV-Film: Weil es zwei auch stilistisch höchst unterschiedliche Spielebenen gibt, kommentiert sich jede Figur selber. Die Fabel wird an der Wirklichkeit gemessen...
Die qualitativ hervorragende und aufwendige TV-Produktion zielt trotz populärer Schauspieler auf ein Publikum, das nachdenkt. Eine rechte Knacknuß für TV-Dramatikchef Martin Hennig, der eine so teure Produktion nicht auf einen Sendetermin am spätem Abend setzen kann. Hennig hofft, daß die Einschaltquoten trotz des anspruchsvollen Stoffs und der formal hohen Ansprüche annehmbar sein wird.
So oder so: Vorläufig ist Der Tod zu Basel die letzte große Einzelproduktion der TV-Dramatik. Serien haben künftig Vorrang. Wären in den letzten Jahren alle eigenproduzierten TV-Filme von der Qualität dieses Odermatt-Werks gewesen: Die Hinwendung zu Serien müßte noch mehr bedauert werden.
Peter A. Kaufmann
Makabrer Totentanz auf dem Basler Stadtplan
Oltner Tagblatt, 26. Januar 1992
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In Basel sterben grundlos Leute. Ohne ersichtliche Todesursache, für die Gerichtsmediziner und die Politiker ein Rätsel, für die Presse ein gefundenes Fressen. Ein älterer Arzt, Doktor Zinstag, stellt fest, daß die scheinbar zusammenhanglosen Todesfälle doch durch eine Gesetzmäßigkeit verbunden sind: Die Häuser der Verstorbenen bilden auf dem Stadtplan eine Spirale, deren Endpunkt Zinstags Haus bildet. Zinstag kommt zum Schluß, daß die Opfer nicht an einer Krankheit, sondern am Tod selbst sterben: Ein neuer Totentanz in Basel.
Diese makabre Geschichte hat sich der Basler Journalist André ausgedacht, der fasziniert ist von der Totentanz-Obsession seiner Stadt. Er entwickelt seine Idee in einem Spielfilm. Bald aber lassen sich Fiktion und Realität nicht mehr richtig trennen. André erfährt von seiner Figur Zinstag, daß er an Aids sterben wird. Er beschließt, sich dem Tod nicht widerstandslos zu ergeben und seinem Leben noch einen Sinn abzuringen. Der fiktionale Doktor Zinstag seinerseits erkennt, daß dem neuen Totentanz nur Einhalt zu gebieten ist, wenn sich nicht alle vom Tod mitreißen lassen und irgendeiner den Spieß umdreht...
Oberhalb der Abdankungshallen steht auf dem Friedhof Hörnli in Basel bei Riehen eine Gruppe von gegen hundert Trauergästen um ein frisches Grab, darunter auch eine ganze Vereinsmusik in hellblauen Uniformen. Die Leute harren seit zwei Stunden frierend an ihren Plätzen aus und lauschen immer wieder von neuem der Grabrede des weißhaarigen Pfarrers, während sich die Fahnen der Vereinsvertreter leise im Wind bewegen. Die Trauerschar wird noch weiter zwei Stunden, bis etwas über zwölf Uhr mittags an diesem bedeckten Samstagmorgen, in der Kälte stehen, immer wieder die Hüte abnehmen und eben erst angezündete Zigaretten wegwerfen. Der Verstorbene wird ihnen dafür nicht speziell dankbar sein. Er hat nämlich gar nie gelebt: Die am vergangenen Samstag auf dem Hörnli beobachtete Szene ist Teil der Dreharbeiten zum Spielfilm Der Tod zu Basel, den eine Equipe des Schweizer Fernsehens unter der Regie von Urs Odermatt (Gekauftes Glück) während der nächsten sieben bis acht Wochen in Basel dreht. Und die eingangs geschilderte Geschichte ist die Geschichte des Spielfilms, das heißt: beim Film des Journalisten André handelt es sich um einen Film im Film. Hauptdarsteller sind Günter Lamprecht (André), Wolfram Berger, Hilde Ziegler und Ueli Jäggi. Produziert wird der Film von der Abteilung Dramaturgie des Schweizer Fernsehens.
Geschäftig eilt der Regisseur Urs Odermatt (Gekauftes Glück) auf dem „Set“, dem Drehplatz, umher. Er gibt hier einem Hauptdarsteller noch einen Hinweis, formiert dort eine Gruppe der frierenden Statisten um und spricht immer wieder per Funk mit seinen beiden Regieassistenten. In Jeans und Jacke kaum weiter auffällig, kennzeichnet ihn nur der Bügel über der Dächlikappe als wichtige Person: Daran sind ein Kopfhörer und ein Mikrofon befestigt. Ohne lautes Gebrüll können die mit Walky-Talkies ausgerüsteten Equipenmitglieder so ständig mit dem Regisseur sprechen.
Die erste Einstellung der Grabszene ist „gestorben“. Fünfmal muß der Pfarrer seine Ansprache halten, während die Hauptdarsteller aus der Trauergesellschaft einige Schritte beiseite treten, gefolgt von der auf Schienen laufenden Kamera. Klebstreifen an den Rädern des Schienenwagens und an den Schienen zeigen dem Schiebemann jeweils, wie weit er den Kamerawagen bewegen muß. Odermatt glaubt, daß „die erste und die dritte in Frage kommen“, das heißt, daß die Einstellung in zwei brauchbaren Versionen vorliegt. Für die vielleicht fünfzehn Sekunden Film müssen die Statisten lange ausharren. „Da kann man sich ja den Tod holen!“ tönt’s irgendwo... Zum Glück nicht den Tod, aber immerhin einen Schwächeanfall erleidet einer der Musiker. Die Garderobiere wird sich um ihn kümmern, während die Umbauarbeiten für die nächste Einstellung der gleichen Szene über die Bühne – oder hier eben über den Vorplatz zu den Gräberfeldern – gehen. Da sitzt jeder Handgriff. Innerhalb von Minuten sind die fünf Meter Schienen abgebaut, die Kamera neu plaziert, sind die Tonkabel umgelegt und die Scheinwerfer in der Höhe richtig eingestellt. Aus dem Requisitencar des Fernsehens (mindestens sechs SRG-Fahrzeuge stehen herum, davon zwei große Techniklastwagen) muß ein neuer Telephonhörer geholt und mit einem Attrappenkabel versehen werden, weil in der Telephonkabine, in welcher der Schauspieler Wolfram Berger im Vordergrund ein Gespräch führen muß, einer der modernen Hörer installiert ist. Ein moderner Hörer, das geht natürlich nicht. Denn der fiktionale Teil der Handlung spielt – den Kostümen und Autos nach zu schließen – irgendwann in den dreißiger Jahren. A propos Autos: Aus der ganzen Schweiz hat man eigens für diesen Zweck einige Oldtimer-Jaguar herbeigefahren. Auch sie werden jetzt für die zweite Einstellung extra umparkiert, damit sie besser ins Bild passen. Die Kamera steht jetzt neben der besagten Telephonkabine, welche vom vorherigen Standpunkt aus gerade noch im Hintergrund sichtbar war – so daß der Schauspieler, welcher den Anruf tätigen soll, gesehen werden konnte. Vom neuen Standpunkt aus soll die gleiche Szene umgekehrt gefilmt werden: Die Kabine steht im Vordergrund, die Protagonisten lösen sich im Hintergrund aus der Trauerschar und gehen auf die Kamera zu. Vor der Telephonkabine steht eine alte Vespa mit Seitenwagen, offensichtlich von der „Ausstattung“ liebevoll mit künstlichem Staub und Dreck verschmiert. Mit dem Ding soll der Telephonbenutzer herbeigefahren sein. Im nächsten Bildausschnitt wird nur der Lenker des Fahrzeugs sichtbar sein; damit die Wirkung dennoch nicht verloren geht, wird der Rückspiegel so total verstellt, daß darin Wolfram Berger in der Kabine für die Kamera gespiegelt wird.
Ein erste „Trockenprobe“ kann stattfinden. Irgend jemand stellt dabei fest, daß Berger, der sich eine dunkle Zigarette anzünden wird, bis jetzt ohne, nun aber plötzlich mit Filter raucht... Die Mundstücke werden abgerissen. Regisseur Odermatt findet, daß die Gruppe nach dem Weggang aus der Trauergemeinde einen Dialog führen soll. Während der zweiten Trockenprobe taucht der Tonmeister hinter einem Bus hervor: „Ihr könnt nicht plötzlich einen Dialog einbauen, ohne daß ich etwas davon weiß!“ Das Mikrofon muß umplaziert, die Kabel müssen unsichtbar verlegt werden. Dabei zeigt sich, daß die „Katze“, die Fellhülle um das hochempfindliche Gerät, die Windgeräusche auf der Tonspur verhindern soll, zu breit ist: Das Mikrofon ist in seinem Versteck hinter dem Baum sichtbar. Odermatt läßt bei dieser Gelegenheit noch ein Fahrverbot demontieren, das irgendwo im Hintergrund störend wirken könnte. Schließlich kann gedreht werden. Auch für diese Einstellung braucht es vier Takes, bis Odermatt zufrieden ist. Immer wieder überqueren im Hintergrund Leute in allzufarbigen Kleidern den großen Platz zwischen den Gebäuden; im Film würde dies wohl kaum auffallen, aber es störte die Komposition des Bilds. Was sich leider nicht abstimmen läßt, ist der Wind: Hatten die Fahnen am Grab bei der ersten Einstellung leise geweht, so flattern sie jetzt in die Bise. Das könnte aufmerksamen Zuschauern im Endprodukt auffallen, wenn die Aufnahmen hintereinandergeschnitten werden. Auf dem Set merkt’s aber im Moment niemand.
Endlich ist auch diese Aufnahme im Kasten. Aus einem weiteren Winkel soll das Ende der Grabrede gefilmt werden, bei welchem der Photograph mit seinem antiquarischen Knipskasten und Trichterblitz ein Bild der Trauerfamilie schießen soll. Nachdem auch hier innert Minuten alles eingerichtet ist und die Statisten wieder einmal ihre angerauchten Zigaretten wegschmeißen müssen, stellt sich heraus, daß der Blitz der Kamera nicht funktionstüchtig ist. Der für die Statisten zuständige Regieassistent sagt dem keine zwanzig Meter entfernt stehenden Odermatt Bescheid. Der reagiert ungehalten: Man habe den Mann mit Blitz bestellt. „Die Ausstattung“ will mit einem Elektronenblitz aushelfen, der außerhalb des Kamerasichtfelds dem untauglichen Glühlampengerät im richtigen Moment zu Hilfe kommen soll. Odermatt schimpft: Das nütze nichts, denn am Nachmittag soll eine Großaufnahme des Photographen gemacht werden – dann muß der Blitz sein Licht aus eigener Kraft aussenden.
Ohne daß gedreht wurde, wird die Arbeit schließlich zugunsten des Mittagessens für die halberfrorenen Statisten unterbrochen. Noch während sie alle erlöst dem Restaurant vor dem Hörnli-Haupteingang zustreben, beginnen die Bühnenbauer die Schienen für den Kamerarun für die Dreharbeiten am Nachmittag aufzubauen. Regisseur Odermatt fragt das Scriptgirl, ob die Positionen der Statisten mit der Polaroidkamera festgehalten worden seien: Am Nachmittag wird eine Anschlußszene gedreht, bei welcher alle sich wieder an der haargenau gleichen Stelle die Beine in den Leib stehen werden...
Peter Sennhauser
„Der Tod zu Basel“ tanzt auch auf dem Hörnli
Basellandschaftliche Zeitung, Liestal, 13. Februar 1990
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Sein letzter Spielfilm Der Tod zu Basel entstand im Auftrag des Schweizer Fernsehens. Der Tod zu Basel ist die Geschichte eines Autors, der eine Groteske über den Tod schreibt und im Verlauf der Drehbucharbeiten von seinem Arzt erfährt, daß er an Aids erkrankt ist. Der Tod, über den er sich in seiner Arbeit lustig macht, wird plötzlich eine brutale Wirklichkeit in seinem Leben. Die Geschichte stammte von dem an Aids verstorbenen Fernsehjournalisten André Ratti.
In Basel ereignen sich rätselhafte Todesfälle: Leute sterben plötzlich in der Öffentlichkeit, ohne ersichtliche Todesursache. Der Gerichtsmediziner Huber, Professor Rüegg von der Pathologie, der Kantonsarzt Zäslin und die Politiker sind ratlos. Rüeggs Assistent Andreas Zinstag interessiert sich auf seine Weise für die mysteriösen Todesfälle. Im Kreise seiner Freunde – Wissenschaftler, Künstler, Journalisten – entwickelt Zinstag die Theorie, daß die Leute nicht an einer bestimmten Krankheit sterben, sondern „am Tod“.
Ausgedacht hat sich diese makabere Geschichte vom Tod zu Basel der Journalist André, der von der Totentanzobsession seiner Stadt fasziniert ist. Unter dem kritischen Auge seines Lebensgefährten Harry inszeniert André seine groteske Todesfabel als Spielfilm, dessen Ereignisse bald nicht mehr in den Schranken der Fiktion zu halten sind. André selbst erkrankt und muß sich von Andreas Zinstag sagen lassen, daß er bald an Aids sterben wird.
Daß der künstlerische Umgang mit dem Tod nicht unweigerlich düster und deprimierend sein muß, beweist schon die Basler Tradition des Totentanzes an sich, der oft verschrobenen, humorvollen danse macabre, von der sich der Begriff „makaber“ ursprünglich herleitet. Auch die Karnevalstradition, die sich in der Basler Fasnacht niederschlägt, hat den Tod immer in ihr Narrenspiel einbezogen. So ist auch Der Tod zu Basel kein depressives, lebensfeindliches Stück, sondern durchdrungen von skurrilen und grotesken Zügen. Fabel, Thriller und Drama verweben sich darin zu einer spannenden Geschichte, die gleichzeitig den künstlerischen Schaffensprozeß in spielerischer Form zum Thema macht.
Aargauer Volksblatt, Baden, 24. Januar 1992
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Der bald 37jährige Nidwaldner hat bei seinen Projekten immer viel Wert auf eine gute, ja hervorragende Besetzung gelegt. So verpflichtete er 1988 für seinen Kinofilm Gekauftes Glück Topschauspieler wie Wolfram Berger und Mathias Gnädinger (Der Gemeindepräsident, Reise der Hoffnung usw.), und Regisseur Werner Herzog. Die tragische Geschichte von einem thailändischen Bauernmädchen und einem Nidwaldner Bergbauern lief mit Erfolg in den Kinos (80’000 Besucher in der Schweiz).
Mit seinen Besetzungswünschen hat sich Urs Odermatt auch beim Schweizer Fernsehen durchgesetzt. Zähneknirschend hat man dort die hochkarätige Besetzung akzeptiert, denn die geht ins Geld. Der Fernsehfilm Der Tod zu Basel (...) kostete rund 1,4 Millionen Franken. Günter Lamprecht verkörpert André, einen Filmer, der einen Spielfilm über merkwürdige Todesfälle in Basel dreht und selbst an Aids erkrankt. Dietmar Schönherr spielt den alten Arzt Zinstag, der dem Tod auf die Schliche kommt und dem Totentanz ein Ende macht. Ueli Jäggi, am Basler Theater engagiert, tritt als Sensemann in Gentlemankluft und als Andrés Freund Harry auf. Wir erleben Wolfram Berger als Journalisten, Hilde Ziegler als Andrés Freundin Olga, Stephanie Glaser als guten Hausgeist bei Doktor Zinstag, Jürgen Cziesla als Chemievertreter Schiwack, Renate Steiger als Regierungsrätin Frey und Siegfried Kernen als Gerichtsmediziner Huber, der sich eigens für diesen Film eine Glatze schor. Urs Odermatts Freundin Marie-Thérèse Mäder zeigt als Krankenschwester Gabi viel Haut.
Der Tod zu Basel ist eine Auftragsarbeit, die ihm September 1989 von Martin Hennig (Abteilung Dramatik des Schweizer Fernsehens) angetragen worden ist. Wie war die erste Reaktion auf das Drehbuch von Markus Kutter, der die Idee von André Ratti wieder aufgegriffen hatte? Urs Odermatt: „Zuerst war ich erschrocken. Das Buch war sehr dialoglastig, wie ein Hörspiel. Mit Michel Bodmer habe ich das Buch überarbeitet, es filmischer gemacht.“
Mit Autor Markus Kutter hätte in der Vorbereitungsphase ein reger Austausch stattgefunden, meinte Urs Odermatt, aber: „Die naturalistische, vielleicht journalistische Vorgabe von Kutter habe ich grotesker und skuriller gezeichnet, als es dem Autor Kutter lieb war.“ Was hat den Nidwaldner an diesem modernen Totentanz, dieser makabren Parabel fasziniert? „Die Vergänglichkeit unserer Existenz“, antwortete uns Urs Odermatt. „Ist es nicht grotesk: Achtzig Jahre lang nehmen wir uns ungeheuer wichtig, rennen unseren Zielen hinterher. Dann heißt es Wachablösung, und die nächste Generation ist an der Reihe, sich wichtig zu nehmen und ihrer kümmerlichen Existenz etwas Anständiges abzugewinnen. Der Tod zu Basel handelt von dem vielleicht letzten Tabu, eine Geschichte über den Tod. Aber man muß sich über den Tod auch lustig machen können.“
Eine groteske, auch makabre Stimmung. Der Autopsieraum des Doktor Huber ist wie eine Gruft. Der nekrophile Arzt ist glatt wie die Kacheln dort, ein glattgeschorener Gerichtsmediziner, worauf Odermatt Wert legte. Dennoch eine sympathische Figur, findet er, im Gegensatz zum Technokraten, dem Pathologen Professor Rüegg, einem Vertreter der modernen Medizin. Als ausgemergelte Erscheinung tritt der Tod auf: „ein theatralischer Akt“ (Odermatt).
Rolf Breiner
Luzerner Zeitung, 24. Januar 1992
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Kunstmuseum Basel, Vortragssaal, Mittwoch vormittag. Außergewöhnlich der Anlaß: Das Fernsehen DRS lädt zur Première eines Films in Basel. Außergewöhnlich der Film: Der Tod zu Basel ist keine der üblichen DRS-Produktionen. Nicht nur wegen des Stoffs, nicht nur, weil der Anteil von baslerischem Wissen und Können bei dieser Produktion besonders hoch ist. Auch das Produkt selbst, das nach einführenden Voten vorgeführt worden ist, kann sich sehen lassen.
Robert Ruoff, der Pressechef DRS, begrüßt die zahlreich erschienen Gäste. Martin Hennig, Abteilungsleiter Dramatik, nutzt die Gelegenheit, das Fernsehen als eine schweizerische Institution vorzustellen, die nicht nur aus Zürich für Zürcher sendet. Dann richtet Markus Kutter ein paar Worte an die Gäste. Von ihm stammt das Drehbuch des Films. Aber die erste Fassung entstand in Zusammenarbeit mit André Ratti, der im Oktober 1986 an Aids verstorben ist. Jahre später stellte Kutter auf Anregung von Hennig eine Fassung her, die als Grundlage des Films von Urs Odermatt (Regie) diente. Dreh des Films 1990, öffentliche Première Winter 1991, Sendetermin 26. Januar 1992. „Gut Ding will Weile haben“, sagt Hennig zu dieser Terminplanung.
Kutter erzählt von der Enttäuschung des Drehbuchautors, der erleben muß, daß der Regisseur recht frei umgeht mit der geschriebenen Vorlage. So tritt der Vertreter der Chemie im Gegensatz zum Drehbuch im Film sehr stark in den Hintergrund. Der Arzt auf der Pathologie des Spitals ist stur, statt einsichtig zu sein. Der Tod greift ein, statt nur präsent zu sein. Soweit Kutter zu den Hauptunterschieden. Abschließend sagte er dann: „Trotz aller Divergenzen ist es mein Film.“
Der Tod zu Basel basiert auf der Idee, eine Todesserie in der Gegenwart mit dem mittelalterlichen Basler Motiv des Totentanzes in Verbindung zu bringen. Ein, zwei, drei Leute sterben, die Gerichtsmedizin findet keine Ursache, die Presse stürzt sich auf das Ominöse, die Leiterin des Gesundheitswesens möchte wissen, ob es sich um eine Epidemie handelt, ein alter Arzt bringt die Todesserie mit dem Totentanz in Verbindung, der Mann der Chemie will alles in den Griff bekommen. Weitere Menschen sterben, der Tod, der im Kleinbasel sein Unwesen getrieben hat, überschreitet den Rhein. Die Wissenschaft muß passen, nur der Mythologe, der beobachtet, daß der Tod immer näher zu ihm kommt, behält recht.
Parallelmontagen in dieser linearen Erzählung legen immer wieder eine Nähe zwischen Sexualität und Tod nahe. Sie und das langsame Sterben des Regisseurs im Film, des von Günter Lamprecht gespielten André Ratti, verschaffen dem Film jene unheimliche Stimmung, als ob dieser Totentanz vom HI-Virus befallen wäre.
Nicht nur Günter Lamprecht, da sind überraschend viele bekannte Namen zusammengekommen: Hilde Zicgler als Chefredaktorin der Zeitung Die Vorstadt, Ueli Jäggi als der Sensemann, Dietmar Schönherr als alter Arzt Zinstag, Wolfram Berger als Journalist, Stephanie Glaser als Spitalpatientin, Nicolas Lansky als Chefpathologe, um nur einige zu nennen. Es sind hervorragende Schauspieler, die imstande sind, selbst Nebenrollen eigene Bedeutung zu geben.
Großen Wert wurde auch auf die Milieuschilderung (Ausstattung: Rolf Engler) gelegt. Der Kontrast zwischen der bürgerlich-traditionellen Arztwohnung von Zinstag und dem Chefarztbüro im letzten Designerschick macht eine Polarität deutlich, die grundlegend für den Film ist: Der sympathisierenden Schilderung des Dr. Zinstag, des alten Arztes mit dem historischen Wissen über den Totentanz, steht die karikierende Sicht auf den affektierten Chefarzt aus der Welt der modernen Wissenschaft gegenüber.
Der Tod zu Basel ist außerordentlich und doch eine Fernsehproduktion. Das hängt nicht nur mit der Beschränktheit der Mittel zusammen, die man diesem Film ansieht. Da gibt’s auch eine Menge Klischees. Ein didaktischer Grundzug bleibt nicht verborgen. Und der Ernst des Stoffes wird dem Willen zur Unterhaltung geopfert. So läßt einen trotz einzelner rührender Szenen der Film eher kalt.
hm (Christoph Heim)
Aids und die Pest: Der Totentanz in Basel
Basler Zeitung, 6. Dezember 1991
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Die Idee zum Spielfilm Der Tod zu Basel hatte André Ratti selbst ‒ als er noch nicht wußte, daß sein Körper HIV-positiv war. Ratti stellte sich die Geschichte vom unheimlichen Sensenmann vor, der die Stadt Basel besucht und seine Opfer fordert. Die Schulmedizin ist ratlos; Schnitter Tod dreht seine unheimlichen Runden. Ein alter Arzt kommt ihm ‒ anhand eines Stadtplans ‒ auf die Spur und erkennt, daß das Unheil vor seiner Tür am Münsterplatz nicht vorbeigehen wird.
André Ratti sprach in den frühen achtziger Jahren mit dem Basler Publizisten Markus Kutter über die Idee. Die beiden suchten Geldgeber für einen Film und sprachen mit dem Schweizer Fernsehen über die Realisierung ‒ da erfuhr André Ratti von seinem Schicksal. Das halbfertige Drehbuch verschwand in einer Schublade, André Ratti starb an seiner Krankheit. Jahre später erinnerten sich Martin Hennig, Chef der DRS-Abteilung Dramatik, und Markus Kutter an das Manuskript. Sie beschlossen die Geschichte wieder aufzugreifen und Rattis Schicksal in die Handlung einzubauen. Daraus ist der Spielfilm Der Tod zu Basel entstanden.
Die Produktion ruft Erinnerungen an einen ungewöhnlichen Mann hervor. Der Journalist André Ratti war in Basel eine bekannte Persönlichkeit. Er bekannte sich ‒ als Teil des gesellschaftlichen Establishments ‒ offen zu seiner Homosexualität. Beruflich wirkte er während Jahren als Pressesprecher eines Computerkonzerns. Später wechselte er als Wissenschaftsjournalist zum Schweizer Fernsehen, wo er das Magazin Menschen, Technik, Wissenschaft betreute. Ratti war nicht telegen, trotzdem zog er das Publikum in Bann. Ratti war ein Selbstdarsteller, der selbst trockene Materie zu einem Happening mit süffigem Inhalt verwandelte. Später arbeitete Ratti bei der Kultursendung Schauplatz mit. Und dann kam das Todesurteil.
Ratti akzeptierte es nicht gottergeben. Sein Tod sollte einen Sinn haben. Er wollte ihn als Warnung an die Gesunden vor der gesellschaftlichen Verlogenheit verstanden wissen. Sein Bekenntnis war kurz und eindrücklich: „ Ich bin schwul und habe Aids.“ Mit André Rattis Kampagne über das eigene Sterben wurde die Aids-Diskussion in der Schweizer Öffentlichkeit erstmals entfacht.
Markus Kutter, der Autor des Drehbuchs für den Spielfilm, wollte möglichst viel von der Substanz der Idee Rattis in den Spielfilm einbauen. Ratti hatte die Vorstellung, daß die Stadt Basel in einer besonderen Beziehung zum Tod stehe. Dazu gehört die kulturelle Tradition ‒ wie sie Holbeins Totentanz illustriert ‒ oder die moderne Bedrohung durch die chemische Industrie (Jahre vor „Schweizerhalle“). Offensichtlich konnte Kutter dieses Phänomen gedanklich nachvollziehen. Der Tod zu Basel ‒ Regie führte der Innerschweizer Urs Odermatt ‒ ist ein geheimnisvoller Spielfilm geworden, ein „dance macabre“, wie es im Pressetext dazu heißt.
Die Produktionszeit für diesen Spielfilm dauerte lange, die Zusammenarbeit zwischen Markus Kutter und Regisseur Urs Odermatt war von Querelen geprägt. Kutter bringt Vorbehalte gegenüber der Umsetzung seines Drehbuchs an. Seines Erachtens rettete der frühere Chef der Abteilung Dramatik, Max Peter Ammann, als Berater beim Schnitt das Werk. Der Film ist ‒ bei vielen Nachtaufnahmen ‒ in dunkeln Farben gehalten, begleitet von quälenden Piccoloklängen. Eine leise Spur von schwarzem Humor durchzieht die Geschichte, doch ein befreiendes Lachen ist kaum je möglich.
Das Schweizer Fernsehen hat diese Produktion in finanzieller Zusammenarbeit mit dem Westdeutschen Rundfunk produziert. Zum Einsatz kommen bekannte Schauspieler wie Günter Lamprecht als André und Dietmar Schönherr als Arzt. In den Nebenrollen erlebt man Überraschungen mit Leuten wie Viktor Giacobbo als Polizisten oder Christoph Schwegler als Radiomoderator.
Der Tod zu Basel ist kein einfacher Film. Aber er vermittelt ‒ vor dem Hintergrund des Lebens von André Ratti ‒ eine packende Auseinandersetzung mit dem Ende des Zeitlichen.
Rolf Hürzeler
Spuren von Freund Hein
Tele, Zürich, 3/1992
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Die Weltwoche, Zürich, 30. Januar 1992
Martin Schlappner, Neue Zürcher Zeitung, 28. Januar 1992
Ursula Ganz-Blättler, Luzerner Zeitung, 28. Januar 1992
Chandra Kurt, Aargauer Volksblatt, Baden, 24. Januar 1992
Rolf Breiner, Luzerner Zeitung, 24. Januar 1992
Im Betrieb (der Volksdruckerei, wo auch die Basler AZ produziert wird) selbst war kaum etwas von der Arbeit des Fernsehens zu merken. Die Aufnahmen wurden nämlich nicht in der Druckerei gemacht, sondern in den Büros, die das Fernsehen schon seit Wochen gemietet hatte und die jetzt schlicht zur Kulisse einer Filmszene umfunktioniert worden waren. BIoß die männliche Gipsfigur, die eines Tages plötzlich im Treppenhaus stand („Ich bin schön erschrocken, als ich ihr beim Nachtdienst plötzlich gegenüberstand“, gestand AZ-Redaktorin Annelise Kienle) und die offenen Türen und Fenster machten darauf aufmerksam, daß hier etwas los ist. Zum Glück herrschte draußen nicht eisige Kälte, waren alle im Hause froh, denn der Kabelsalat verhinderte das Schließen von Fenstern und Türen. Die Tür zum Hausgang mußte zudem offen bleiben, weil im Gang noch Beleuchtungshilfen eingerichtet waren – man mußte also auch dort noch aufpassen, daß man nichts verstellte, sonst hätte die ganze ausgeklügelte Beleuchtung nicht mehr gestimmt.
Ich staunte nicht schlecht, mit welch primitiven Mitteln bei solchen Aufnahmen gearbeitet wird. Zur Aufhellung des Lichtes zum Beispiel dienen billige weiße Styroporplatten, und wenn ein Stuhl nicht ins Bild kommt, genügt der simpelste und unbequemste Hocker – es muß ja tatsächlich nicht immer das teuerste und beste sein. Was mich allerdings recht erstaunte und auch leicht betrübte, war der Umgang mit den Schauspielern. Nicht, daß sie schlecht behandelt worden wären, ganz im Gegenteil, der Umgangston war ausgesprochen freundlich und zuvorkommend. Aber daß man Hilde Ziegler, die immerhin eine der Hauptrollen spielt, um Stunden zu früh an den Drehort bestellt und ihr dann nicht einmal einen Raum zur Verfügung stellt, in dem sie sich entspannen kann, sondern sie während der Einrichtungsphase wie eine Ware hin und her schiebt, weil sie prompt immer am falschen Ort sitzt, ist doch etwas despektierlich. Die Schauspielerin selbst nahm es allerdings mit Humor – es war nämlich ihr letzter Drehtag, und sie schwelgte in Vorfreude auf Wien, wohin sie zur Première ihres Mannes Adolf Spalinger am nächsten Tag fuhr.
Wenn man sich Reportagen von Filmaufnahmen anschaut, wird immer wieder festgehalten, wie oft eine Szene geprobt wird. Von bis zu zwanzig und mehr Aufnahmen kann man da hören – für Der Tod zu Basel waren es, jedenfalls während unserer Anwesenheit, wesentlich weniger, obwohl Sekunden vor der ersten Probe noch schnell der Text abgeändert wurde. Da merkt man halt schon, daß Profis am Werk sind, und Regisseur Urs Odermatt genau weiß, was er von wem verlangen kann.
Daß ausgerechnet Basel die Kulisse zu diesem Film bildet, ist von der Geschichte her gegeben: André Ratti, der sie sich ausgedacht hat, war Zeit seines Lebens von der Basler Totentanzvergangenheit fasziniert. Er hatte auch eine groteske Todesfabel als Spielfilm verfaßt und inszeniert. Nach seinem Tod, er starb ja vor zweieinhalb Jahren an Aids, wird nun die nach seinen Ideen vom Basler Markus Kutter geschriebene Story verfilmt. Neben Hilde Ziegler spielen Günter Lamprecht, Wolfram Berger und Ueli Jäggi weitere Hauptrollen – man kann auf das Resultat sehr gespannt sein.
Susann Moser-Ehinger
Das Fernsehen als Gast in der Volksdruckerei
Basler AZ, 27. März 1990
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Ein Serienmörder geht um. Sorgsam wählt er seine Opfer, lauert ihnen auf an bestimmten, vorbestimmten Orten. Die Höflichkeit verbietet ihm, sich heimlich von hinten anzuschleichen: Er nimmt die Menschen bei der Hand, und sie ergeben sich ihm ohne Furcht. Die Leichen, alle mit diesem ernsten, friedlichen Gesicht und ohne erkennbare Todesursache, bereiten nicht nur der Gerichtsmedizin schlaflose Nächte, sondern auch den Reichen und Mächtigen der Stadt: Wer ist schuld? Und: Wer ist der nächste?
Herausgefordert von der Serie rätselhafter Todesfälle sind ein Fernsehjournalist, der sich anschickt, einen Film über das makabre Phänomen zu drehen, und ein Arzt, der hinter dem scheinbar so zufälligen Sterben die Methodik erkennt: Es ist der Tod persönlich, der umgeht und die Menschen wie in alter Zeit zum Tanzen fordert, jedermann und jedefrau. Zwei sind es, die dem Tod auf die Schliche kommen und ihn nun ihrerseits zum Tanz einladen, um nicht weniger als den Preis ihres Lebens...
Der Tod zu Basel, nach einer Idee des Fernsehmannes André Ratti und einem Drehbuch von Markus Kutter von Urs Odermatt fürs Fernsehen realisiert, ist keine einfache Produktion, nicht einfach zu verstehen und noch weniger etwas fürs Gemüt. Dafür vereinigen sich in spannender Weise Inhalt und Machart zu einem Ganzen: Wer die Webart des filigranen Netzes durchschaut, folgt dem Geschehen mit wachsender Aufmerksamkeit: Alles macht Sinn, und wie in der mittelalterlichen Parabel ist alles Bild – Sinnbild eines visuellen (Video- und Fernseh-)Zeitalters nicht zuletzt. Daß dieser im doppelten Sinne mediengerechte Totentanz nicht zum zynischen (Krimi-)Spektakel oder (noch schlimmer) zur trockenen Spekulation verkommt, liegt zu einem Gutteil an der sorgfältigen Wahl der Darsteller, die – angefangen bei Günter Lamprecht und Dietmar Schönherr bis hin zur Klischeefigur eines rasenden Reporters (Wolfram Berger) und zur ungewohnt zurückhaltenden Stephanie Glaser in einer Nebenrolle – ihr Bestes geben. Vielleicht auch an der Musik, die immer wieder an die Basler Fasnacht anklingt und mit leisem Spott dem Tod die Schwere, dem Tanz das allzu Gravitätische nimmt.
Ursula Ganz-Blättler
Luzerner Zeitung, 28. Januar 1992
In Basel ereignen sich rätselhafte Todesfälle: Leute sterben aus heiterem Himmel, in aller Öffentlichkeit, ohne ersichtliche Ursache. Ärzte und Politiker sind ratlos. Das ist die Geschichte des Films Der Tod zu Basel. Das Schweizer Fernsehen hat ihn nach einer Idee des 1986 an Aids verstorbenen TV-Moderators André Ratti realisiert.
Der Basler Publizist Markus Kutter schrieb das Drehbuch zu dem Film (...). Kutter erinnert sich: „Vor einigen Jahren kam André Ratti mit einem faszinierenden Filmthema zu mir: Die Totentanzstadt Basel erlebt als Gegenwart, daß der Tod persönlich zurückkehrt. Dann erkrankte André an Aids und starb.“
Der Film war unmöglich geworden. Bis Kutter im Gespräch mit TV-Dramatik-Chef Martin Hennig begriff, daß der Stoff eine ganz andere Dimension bekommen hatte: „Ein Mann der Medien entwirft einen Film über den Tod zu Basel und wird von seiner Geschichte selbst eingeholt.“
So wurde das Schicksal des Baslers André Ratti, der eine Geschichte über den Tod erdachte, ohne zu ahnen, daß er den Tod bereits in sich trug, in den Film hineingewoben. Mit dem Bekenntnis „Ich heiße André Ratti, ich bin fünfzig, homosexuell, und ich habe Aids“, hatte der Moderator von TV-Wissenschaftssendungen im Herbst 1985 die Fernsehzuschauer erschüttert.
Urs Odermatt und Michel Bodmer haben den Stoff fürs Fernsehen bearbeitet. Regisseur Odermatt (Gekauftes Glück) ist es gelungen, aus dem Tod zu Basel einen anspruchsvollen und über weite Strecken fesselnden Film zu machen.
André Ratti wird von Günter Lamprecht gespielt, einem der besten Schauspieler deutscher Zunge. Ein weiterer prominenter Darsteller im Tod zu Basel ist Dietmar Schönherr.
Einen starken Eindruck hinterlassen auch Ueli Jäggi, Hilde Ziegler und Siegfried Kernen. Eine Augenweide ist die vielversprechende Nachwuchsschauspielerin Marie-Thérèse Mäder, im Privatleben die Freundin von Regisseur Urs Odermatt.
René Hildbrand
Rattis langsamer Tod jetzt als TV-Film
Blick, Zürich, 13.Januar 1992
In Urs Odermatts, 37, neustem Film Der Tod zu Basel ist Marie-Thérèse Mäder, 23, in einer heißen Bettszene zu bewundern. Doch das stört die frischgebackene Absolventin der Schauspielakademie nicht: „Das gehört doch zum Beruf.“ Ihre wichtigste Rolle spielt sie sowieso im Privatleben von Regisseur Urs.
Muse und Denker
Schweizer Illustrierte, Zürich, 4/1992
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(...) Der Tod zu Basel hat zwei Ebenen in einem raffinierten, nicht immer ganz leicht zu durchschauenden Doppelspiel. Da dreht André (Günter Lamprecht) einen Film, wie in Basel Menschen auf geheimnisvolle Weise ums Leben kommen. Im Spital glauben die Schulmediziner, daß alles natürlich ganz rational zu erklären ist. Nur der Arzt im Ruhestand, Jean-Jacques Zinstag (Dietmar Schönherr) findet ein System heraus: Die Menschen sterben nicht an einer mysteriösen Krankheit, der Tod höchstpersönlich holt sie aus dem Leben ab. Die Menschen sterben sozusagen am Tod. Da geschieht es, daß die Wirklichkeit von der Fiktion eingeholt wird. André, dessen Assistent und Freund Harry (Ueli Jäggi) in seinem Film als Figur des Mors (=Tod) erscheint, wird im wirklichen Leben von der tödlichen Krankheit nicht verschont.
Urs Odermatt hat seinen Fernsehfilm handwerklich sauber und relativ verhalten in Szene gesetzt. Dabei ist das Todesthema, gemäß der Vorlage von Kutter, durchaus auch grotesk angegangen worden, als Gegengewicht zum buchstäblich todernsten Makabren.
Zum Teil prominent besetzt, hat Der Tod zu Basel eine recht seltsame Blüte getrieben. In einer Nebenrolle (Krankenschwester Gabi) zu sehen ist da nämlich eine gewisse Marie-Thérèse Mäder (23), die außer durch eine unmotivierte Nacktszene nicht weiter positiv auffallen würde. Der Blick brachte die Dame bereits am 13. Januar farbig auf der Titelseite, um sie auf Seite drei gleich nochmals mit besagter Bettszene ins Bild zu bringen. Textauszüge: „die attraktive Schauspielerin“, „Augenweide“, „aufgestellte Darstellerin“, „die erfrischende Marie-Thérèse Mäder“, „knisternde Erotik“, „vielversprechende Nachwuchsschauspielerin“. Diese Woche doppelte die Schweizer Illustrierte nach: Ein Farbild zeigt die Senkrechtstarterin an der Seite eines Mannes. Für alle, die’s noch nicht gewußt haben: „Marie-Thérèse Mäder, im Privatleben die Freundin von Regisseur Urs Odermatt“ (Blick). Unser Kommentar: Beziehungsdelikte schön und gut, aber bitte nicht in solch penetranter publizistischer Peinlichkeit.
hau. (Urs Hangartner)
Höchstpersönlich: Der Tod geht um
Luzerner Neueste Nachrichten, 24. Januar 1992
Ende der achtziger Jahre, als Schweizer Fensehen noch SF DRS hieß und eine Abteilung Dramatik kannte, wurden im Studio aufgezeichnete Fernsehspiele durch Fernsehfilme abgelöst. Eines der frühen Projekte war besonders ehrgeizig.
Der Tod zu Basel stammte aus der Feder von Markus Kutter. Dieser legendäre, 2005 im Alter von achtzig Jahren verstorbene Basler Publizist und Mitbegründer der Werbeagentur GGK war auch Schriftsteller und hatte zum Beispiel 1982 das Drehbuch zu Herr Herr verfaßt, einem Wirtschaftskrimi über die Machenschaften des heuschreckenhaften Financiers Werner K. Rey; verfilmt wurde dieses „kapitalistische Lehrstück“ von Nicolas Gessner.
Kutter war befreundet mit André Ratti, einem bekannten Fernsehjournalisten und Moderator der Sendung Menschen Technik Wissenschaft. Ratti schockierte 1986 die Schweiz, indem er seine Homosexualität und sein Sterben an Aids öffentlich machte, zu einer Zeit, als Schwule noch als verpönte Randgruppe galten und die rätselhafte Seuche dämonisiert und verdrängt wurde.
In seinen letzten Lebensjahren hatte sich Ratti mit einer Filmidee beschäftigt, die auf den Basler Totentanz zurückgriff: Am Rheinknie beginnen Menschen aus heiterem Himmel zu sterben, und die moderne Medizin ist ratlos. Nur ein Arzt alter Schule erkennt, daß der Tod in Basel wieder umgeht und seinen Tribut fordert.
Als Ratti starb, nahm Kutter dessen Idee auf und verquickte sie mit einer Dramatisierung von Rattis eigenem Schicksal. Das daraus entstandene Drehbuch, das die tragische Ironie des Autors, der vom Tod erzählt und stirbt, in den Mittelpunkt rückte, war komplex, ehrgeizig und literarisch, wirkte aber auch etwas papieren.
Daher beschloß der zuständige Redaktionsleiter bei SF DRS, die Inszenierung Urs Odermatt anzuvertrauen, der für deftige Kost wie das Exotenbrautdrama Gekauftes Glück (1989) bekannt war; der Nidwaldner sollte der Kopfgeburt von Ratti und Kutter Leben und Sinnlichkeit einhauchen.
Der Brückenschlag zwischen den gegensätzlichen Temperamenten von Autor und Regisseur erwies sich als schwierig, die dramaturgische Arbeit verlief nicht ohne Konflikte. Kutter, der die teure, auf 35mm-Film zu drehende Produktion mitfinanzierte und sie ursprünglich ins Kino bringen wollte, ging auf Distanz.
Zwar bürgten in den Hauptrollen Stars wie Günter Lamprecht und Dietmar Schönherr für Qualität, aber mit einigen anderen Rollenbesetzungen und gewissen inszenatorischen Einfällen Odermatts war auch die Abteilung Dramatik nicht glücklich.
So kam es nach Abschluß der Dreharbeiten zu einer langen Postproduktionsphase, bei welcher vieles heraus- und umgeschnitten wurde; Christoph Marthaler, damals noch mehr Musiker als Theatermann, schuf basierend auf einer Gnossienne von Erik Satie einen Soundtrack, der dem fragmentierten Film atmosphärische Kohärenz verlieh.
Die Endfassung von knappen neunundsechzig Minuten ist recht anspruchsvoll, da die Wirklichkeitsebenen oft abrupt wechseln und viele erzählerische Redundanzen weggefallen sind. In dieser Version, die 1992 ausgestrahlt wurde, erntete Der Tod zu Basel wohlwollende Kritiken.
Aus heutiger Sicht mögen der kühne Inhalt und die komplexe Form dieses Fernsehfilms ungewohnt anmuten. Der Tod zu Basel, seit der Erstausstrahlung kaum noch zu sehen, erlaubt auch einige kleine Entdeckungen. So tauchen in Nebenrollen Viktor Giacobbo und Stephanie Glaser auf, und Ueli Jäggi hinterläßt in einer frühen Doppelrolle einen bleibenden Eindruck.
In jedem Fall aber stellt die Fabel von Ratti und Kutter die bisher ausführlichste filmische Auseinandersetzung mit dem Motiv des Basler Totentanzes dar, und ihre Kritik an der Selbstherrlichkeit der Pharmaindustrie und der hochtechnisierten Medizin hat in den letzten einundzwanzig Jahren nichts von ihrer Gültigkeit verloren.
Michael Bodmer
In Basel geht der Tod um
Schweizer Fernsehen, 31. Oktober 2013
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Fernsehmoderator Andre Ratti (Menschen, Technik, Wissenschaft) hatte die Idee, einen Film über den Tod zu Basel zu machen. Markus Kutter sollte das Drehbuch schreiben. Ratti erkrankte an Aids, starb im Oktober 1986. Die erste Drehbuchfassung (1983/84) blieb liegen. Erst 1989 griff Kutter den Stoff wieder auf, Schweizer Fernsehen und WDR machten mit, und der Nidwaldner Urs Odermatt inszenierte den dämonischen Tanz um Leben und Tod 1990.
Eine Todesseuche grassiert in Basel. Der Tod schlägt unerwartet zu, plötzlich wie aus heiterem Himmel, ohne Vorwarnung, unerbittlich, endgültig. Mediziner, Wissenschafter, Politiker und Industrielle (Chemie) finden keine Erklärung, keinen Bazillus, keine klinische Ursache. Das Herz steht still. Exitus. Es wird gar erwogen – wie weiland während des Golfkriegs –, auf die Basler Fasnacht zu verzichten. Es gibt kein Entrinnen.
Die Ursachenforscher – der Gerichtsmedizinier Huber, Kantonsarzt Zäslin, Professor Rüegg und sein Assistent Andreas – stehen einem tödlichen Rätsel gegenüber. Einer hat die richtige Spur aufgenommen, Jean-Jacques Zinstag, Arzt im Ruhestand. „Das Leben hört auf. Die Leute sterben am Tod“, sagt er. Keine schleichende Krankheit, keine inneren oder äußeren Verletzungen, der Sensemann höchstpersönlich ist der Verursacher, derjenige, der die Menschen nach seinen eigenen Regeln abberuft. Zinstag entdeckt auch innere Verbindungen zwischen den rätselhaften Todesfällen. „Sie sterben in aller Öffentlichkeit“, und die Todesspirale (auf dem alten, mittelalterlichen Stadtplan) führt zu seinem Haus. Zinstag fängt den Tod vor seiner Haustür ab, verleitet ihn zu einem Gläschen Branntwein und schlägt ihm ein Schnippchen, denn er ist nicht allein im Haus, schützt seinen Neffen Andreas, den Jungmediziner...
Diese filmische Parabel ist eingebunden in eine Rahmenhandlung. Wir erleben den Filmer André auf dem Set, am Schneidetisch und im Spital. Der Mann, der seinen Lebensgefährten Harry, Schauspieler und Musiker, überredet, den Sensemann zu spielen, erfährt, daß er an Aids erkrankt ist und übergibt Harry den unfertigen Film. André, der Regisseur, der seine Krankheit publik macht, ist André Ratti. In ihm verknüpfen und vereinen sich Wirklichkeit und Fiktion. Das filmische Spiel vom mysteriösen Todesreigen am Rheinknie wird merkwürdig real, die Parabel vom Tod, der die Menschen persönlich aufsucht, tritt aus den Filmkulissen, von der Tür Zinstags ans Krankenbett Andrés. Der Aidskranke findet sich wieder beim Fährmann, der den Styx überquert und zur Toteninsel (das Bild von Böcklin hängt in Basel) ansteuert. Filmfiguren wechseln sozusagen die Seiten, treten ins (Fernseh-)Leben Andrés. Die Grenzen werden fließend, für den Zuschauer machmal schwer durchschaubar.
Der deutsche Spitzenschauspieler Günter Lamprecht (Berlin Alexanderplatz) bietet eine überzeugende Probe seiner mimischen Kraft. Überhaupt besticht die Verfilmung Der Tod zu Basel vom Nidwaldner Urs Odermatt (Gekauftes Glück) durch seine vortreffliche Besetzung. Nachwuchsschauspielerin Marie-Therese Mäder, die eine eher undankbare Rolle als sexy Krankenschwester Gabi zu bewältigen hat, zeigt, was sie hat und an der Schauspielakademie gelernt hat. Szenenkenner werden den alten Radiqhasen Christoph Schwegler am Mikrophon wiedererkennen oder den Humoristen Viktor Giacobbo als Polizisten.
Der Film, mit einem Budget von etwa 1,4 Millionen Franken in Coproduktion mit dem WDR hergestellt, fordert das Fernsehpublikum, er öffnet sich und verschließt sich. Der Film pendelt, schlägt feine ironische Töne an, macht aber auch vor Klischees nicht halt. Er wird todernst, makaber, aber auch grotesk und burlesk. Der paffende Pathologe Rüegg und das Sexbömbchen in Schwesternkluft, Gabi, die sich mehr naiv als leidenschaftlich dem Herrn im weißen Kittel hingibt, sind Karikaturen, die kaum überzeugen als Figuren.
Der Tod zu Basel entpuppt sich als moderner danse macabre und reißt Themen an, die uns berühren, bewegen, auch wenn wir sie am liebsten verdrängen. Der Tod ist allgegenwärtig, Umweltkatastrophen, Aids und Krebs, Unfälle, Drogen. Der Tod holt das Leben ein, zeigt seine Fratze (im Film kommt er freilich als höflicher Mann in Schwarz daher), macht seinen Job. Schauplatz ist Basel, aber die Geschichte könnte auch anderswo spielen. Daß Basel als Chemiemetropole mehrheitlich nur idyllische Kulisse bietet, ist vielleicht ein Manko. Die Chemiewerke stehen nur am Rande, sind nicht mehr als ein (drohendes?) Fragezeichen. Hier hätten sich auch andere Interpretations- und Darstellungsmöglichkeiten geboten...
Rolf Breiner
Ein moderner Totentanz am Rheinknie
Luzerner Zeitung, 24. Januar 1992