Eine geschlossene Welt

 

Berge im Westen. Berge im Osten. Wie Bretter vor dem Kopf. Berge im Norden. Berge im Süden. Schatten von Oktober bis April. Nicht der freie Blick aus Mittelmeer ist Sehnsucht, vielmehr der weite Blick des Nordens. Der flache Blick zum Horizont.

 

Meine Spielfilme Gekauftes Glück, Wachtmeister Zumbühl und Der böse Onkel spielen in Oberrickenthal, in Napfmoos oder in Villach, fiktiven Dörfern im ländlichen Nidwalden oder im Aargau. Fiktive Dörfer mit einer geschlossenen Gesellschaft, wo jeder jeden kennt, und jeder über jeden alles weiß. Dörfer, in denen es kein Geheimnis ohne Gerüchte und keine Gerüchte ohne Geheimnis gibt. Dörfer, wo das enge Nebeneinander von Mief und Gemütlichkeit, von Geborgenheit und Bevormundung, Sicherheit und Kontrolle, eine verschworene Gemeinschaft bildet. Eine Gemeinschaft, an der der Mensch leidet. Wenn der Mensch die Gemeinschaft verliert, leidet er am Verlust. Ich spreche nicht – wie man vielleicht denken könnte – von einer sozialistischen Gesellschaft, sondern von einer katholisch geprägten, voralpinen Gesellschaft, wo die Berge den Menschen einschließen und beschützen. Wo sie ihn einengen und abschirmen vom Guten und vom Übel dieser Welt.

 

Kora spielt in der gleichen Welt. Nur sind es nicht mehr Berge, die die Menschen vor der nächsten Stadt und vor anderen Gedanken trennen, sondern das Meer. Kora spielt in der geschlossenen Gesellschaft einer Handvoll Inseln im Nordatlantik. Das ist der einzige Unterschied. Zwar hat die Schweiz, zwar haben Nidwalden und der Aargau keinen freien Blick aufs Meer. Trotzdem ist Kora eine sehr schweizerische Geschichte. Eine Geschichte aus einer Welt, wo die Welt noch in Ordnung ist. Eine Geschichte aus einer kleinen Welt, die sich gegen die große Welt abschottet. Einer Welt, in der man noch weiß, wer wir sind, und wer die andern. Wo man noch weiß, was gut ist und was böse. Was weiß, was schwarz. Und was rot. Eine Welt, wie wir sie kennen, gegen die wir alle kämpfen. Und eine Welt, die wir alle schon ein bißchen vermissen.

Urs Odermatt

 

Urs Odermatt Arnold Odermatt The Odermatt Channel The Odermatt Shop Nordwest Film AG, alte Spinnerei 1, 5210 Windisch, Schweiz, +41 56 442 95 90, mail@nordwestfilm.ch Kora in Produktion Filme Inhalt Besetzung Stab Presse Photos Auswertung Achtung! Casting

Kora

Es war unser Spiel. Ich durfte auf deinen Beinen sitzen. Du hast mich den Bus steuern lassen. Schon als Kind hast du mich den Bus steuern lassen. Alle haben mich beneidet. Alle haben mich bewundert. Warum Linda? Es war unser Spiel.

 

*

 

Morten

Zuhause fahre ich den Bus. Meinen alten Bedford. Gemüse. Die Post. Bier. Touristen. St. Agnes ist eine kleine Insel. Und Schulbus. Kora und ihre Freundinnen. Kora ist meine Tochter. Die Knaben gehen zu Fuß. Müssen später zur Armee. Festland. Im Schulbus fahren nur die Mädchen. Bei mir vorne auf der Sitzbank ist die Fahrt umsonst. Natürlich wollen sie alle bei mir vorne sitzen. Das Fahrgeld sparen! Aber ich bin gerecht. Jeden Tag ist eine andere an der Reihe. Zum Abschied gibt es einen Klaps auf den Hintern. (...) Ich kann nicht nein sagen. Ich konnte in meinem ganzen Leben nie nein sagen. Ich habe immer sofort kapituliert. Vor jeder Versuchung. Ich esse mehr, als ich scheißen kann. Ich... – Aber Kora ist meine Tochter. Ich bin unschuldig. Kora ist meine Tochter. Ich würde mir eher die Hand abhacken lassen.

 

*

 

Isabel

Du lügst. Ich kann diese Lügen nicht mehr ertragen. Du tust nur deine gottverdammte Pflicht. Du bist so gottverdammt anständig. Ich halte das nicht mehr aus. Ich habe keine Kindertitten mehr. Wann hast du mich das letzte Mal nackt gesehen? Seit Jahren weiß ich Bescheid. Seit Jahren weiß ich, woran du denkst, wenn du mit mir schläfst. Seit Jahren fühle ich mich alt und verbraucht. Aber ich bin keine dreißig. Mein Gott, ich bin keine dreißig. Und ich habe sogar Angst vor meiner eigenen Tochter.

 

*

 

Linda

Das kannst du mir nicht antun. Ich bin kein Straßenkind. Meine Eltern sind katholisch. Du hast mich geschändet. Du hast mir meine Unschuld geraubt. Ich bekomme ein Kind. Jetzt mußt du deine Pflicht tun. Du mußt deine Frau verlassen und mich heiraten. Du bist kein schlechter Mensch und weißt, was du zu tun hast. Jetzt bin ich deine Frau.

 

*

 

Arnold

Einmal ist das erste Mal. Warum nicht jetzt?