Urs Odermatt Arnold Odermatt The Odermatt Channel The Odermatt Shop Nordwest Film AG, alte Spinnerei 1, 5210 Windisch, Schweiz, +41 56 442 95 90, mail@nordwestfilm.ch Mein Kampf Filme Inhalt Besetzung Stab Presse Photos Auswertung

Die Filmgroteske nach der fabelhaften Vorlage von George Taboris Theaterstück ist keine historische Rekonstruktion von Hitlers Wiener Zeit, eher eine zeitlose Parabel vom Guten, das dem Bösen dient. Realität und Fiktion überschneiden sich, Komisches und Tragisches, Groteskes und Rührendes, Wirklichkeit und Traum. Aufgeblendet wird das Psychogramm eines künftigen Tyrannen. Die Idee ist simpel und subversiv zugleich: Der Jude Schlomo Herzl will den jungen Tölpel Hitler vor dem Untergang in der Großstadt retten und wird dadurch zum Geburtshelfer des Monsters.

 

Der junge Hitler kommt aus tiefster österreichischer Provinz nach Wien, um als Maler die Welt zu erobern. Doch zuerst muß er in die Akademie der bildenden Künste aufgenommen werden. Hitler mietet sich im Männerheim in der Blutgasse ein und wartet auf seinen großen Tag. Er teilt das Zimmer mit zwei Juden: dem fliegenden Buchhändler Schlomo Herzl und dem gescheiterten Koch Lobkowitz. Schlomo Herzl will ein Buch schreiben: Mein Leben. Schlechter Titel, findet sein Freund Lobkowitz, der sich für Gott hält und tatsächlich Wunder bewirkt. Gemeinsam verständigen sie sich auf Mein Kampf. Hitler ist begeistert...

 

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Mein Kampf ist die unglaubliche Geschichte über die Verwandlung des Jünglings in das Monstrum Hitler und die Geburt der nationalsozialistischen Idee inmitten des politisch aufgeladenen Suds der ersterbenden Habsburger Monarchie. Der kluge und schlitzohrige Buchhändler Schlomo Herzl nimmt sich 1910 in Wien des jungen, despotischen, untalentierten Zeichners Hitler an. Er unterstützt ihn, wie ein Vater seinen Sohn und trägt unbewußt, wie der Rest der skurrilen Gesellschaft, dazu bei, daß Hitler den Weg in die Politik findet. Ein, wie sich herausstellt, fataler Weg für die Weltgeschichte. Daß der gutmütige Schlomo selbst Jude ist, ist einer der ironischen Zufälle, die zeigen, wie aus fast nichts, das größte Unheil der jüngeren Geschichte werden konnte.

 

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Als Hitler noch nicht Hitler war, kam er aus tiefster österreichischer Provinz nach Wien, um als Maler die Welt zu erobern. Doch zuerst muß er in die Akademie der schönen Künste aufgenommen werden.

 

Hitler mietet sich im Männerheim in der Blutgasse ein und wartet auf seinen großen Tag. Er teilt das Zimmer mit zwei Juden: dem fliegenden Buchhändler Schlomo Herzl und dem Koch Lobkowitz. Schlomo Herzl will ein Buch schreiben: „Mein Leben“. Schlechter Titel, findet sein Freund Lobkowitz, der sich für Gott hält und tatsächlich Wunder bewirkt. Gemeinsam verständigen sie sich auf Mein Kampf. Hitler ist begeistert…

 

Die Blutgasse wird von allen Nationalitäten der K.u.K. Monarchie bevölkert. Da ist die merkwürdige Postlerin, die sich für Frau Tod hält und alles über alle zu wissen scheint. Und Gretchen, das blutjunge Mädchen, die Herzls Geschichten liebt und dafür seine Füße massiert. Und der gehässige Metzger Himmlischst, der am liebsten alle Fremden aus der Stadt jagen würde.

 

Der junge Hitler tut Herzl wegen seiner Unbeholfenheit leid, er kümmert sich um ihn, wie um seinen eigenen Sohn. Er kocht, wäscht, räumt für ihn auf und beschneidet Hitlers Schnauzbart auf die Größe einer Zahnbürste. Der kleine Hitler ist noch weit entfernt vom Führerdenkmal, ein Psychopath ist er dennoch bereits. Er ist faul, selbstverliebt, hysterisch und seine Ansichten bestehen aus allen Vorurteilen seiner Zeit. Trotzdem liebt Herzl Hitler auf eine tief religiöse Weise. „Paß auf, Schlomo Herzl, die Liebe ist lebensgefährlich!“, warnt ihn Lobkowitz.

 

Es zeigt sich, daß sich Hitler als Künstler maßlos überschätzt hat. Er wird in die Akademie mangels Talents nicht aufgenommen. Da er keinen Schulabschluß hat, bedeutet dies für ihn eine Katastrophe – er müßte arbeiten gehen. Hitler kann diese Schmach nicht verwinden und will sich das Leben nehmen. Im letzten Augenblick wird er jedoch von Schlomo Herzl gerettet. Und als Hitler keine Arbeit findet und sogar als Bettler kläglich scheitert, schlägt ihm Herzl vor, Ansichtskarten zu malen. Während Herzl durch Wiener Heurigengärten zieht und Hitlers Kritzeleien verkauft, intrigiert dieser gegen ihn und versucht sein Gretchen zu verführen. Schließlich hat Schlomo Herzl genug von Hitlers Lügen und Schmarotzertum. Voller Ironie rät er Hitler, dieser soll in die Politik gehen. Und Hitler folgt Herzls Rat und wird Anführer von Himmlischsts rabiater, ausländerfeindlicher Bande. Mit ihnen veranstaltet Hitler eine Jagd auf Schlomo Herzl und sein Manuskript Mein Kampf, in dem er rufschädigende, für die politische Karriere hinderliche Passagen vermutet.

 

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Schlomo Herzl, ein alter jüdischer Buchhändler, lebt bettelarm in Frau Merschmeyers Asylheim. Er hat ein einzigartiges Talent, Geschichten zu erzählen. Diesem ist auch die junge Magd Gretchen verfallen. Sie besucht Schlomo gerne in seinem armseligen Zimmer, um seinen Erzählungen zu lauschen. Herzensgut nimmt sich Schlomo – entgegen aller Warnungen – des völlig unbeholfenen Hitlers an. Schnell bekommt er die Konsequenzen zu spüren.

 

Adolf Hitler. 21jährig kommt Hitler 1910 aus tiefster österreichischer Provinz nach Wien, mit dem Ziel an der Akademie der bildenden Künste Malerei zu studieren. Dieser Hitler ist der Prototyp eines widersprüchlichen Charakters. Einerseits ein völlig unsicherer, unbeholfener, naiver Jüngling, der sich im Moloch Wien kaum selbst zurechtfindet. Dies veranlaßt den Juden Schlomo Herzl dazu, sich seiner anzunehmen. Andererseits ist dieser Hitler ein fauler Nichtsnutz, der zu Jähzorn neigt, an maßloser Selbstüberschätzung leidet und dessen Undankbarkeit Herzl gegenüber geradezu an Unverschämtheit grenzt. Tom Schilling verkörpert diesen Jüngling mit bereits psychopathischen Zügen und dessen Verwandlung in das Monstrum Hitler.

 

Gretchen. Das junge Gretchen arbeitet als Magd in Frau Merschmeyers Asylheim. Sie liebt den alten Schlomo Herzl aufrichtig, vor allem sein Talent zum Geschichtenerzählen. Sie hat allerdings auch einen Hang zum Frivolen und genießt es, wenn sie die Blicke der Männer auf sich zieht. So läßt sie auch Hitlers Interesse an ihr nicht kalt.

 

Lobkowitz ist ein weiterer jüdischer Bewohner von Frau Merschmeyers Asylheim. Er taucht selten ohne Klarinette auf und hält sich selbst für Gott. Regelmäßig muß er Himmlischsts antisemitische Anfeindungen über sich ergehen lassen.

 

Frau Tod nutzt ihre Tätigkeit als Postlerin in der Blutgasse gerne dazu, sich einen Überblick über das Geschehen um sie herum zu verschaffen. So öffnet und liest sie Briefe oder beobachtet die Menschen vom Dach des Postamts aus. Deshalb weiß sie mehr über die Vorlieben mancher Bewohner, als diesen lieb ist. Sie sieht sich nicht nur als Post-, sondern vor allem als – wie der Name schon sagt – Todesbotin und ängstigt damit alle, die diesem Aberglauben erliegen.

 

Himmlischt, der Metzgergehilfe in Frau Merschmeyers Asylheim, ist ein unverbesserlicher Wichtigtuer. Mit Anton, Erich und Max teilt er seine antisemitische Gesinnung und drangsaliert die Juden im Asyl bis aufs Äußerste. Auf Grund einer Schwäche, die so gar nicht zum Bild eines Ariers paßt, wird er von seiner Vorgesetzten Frau Merschmeyer erpreßt.

 

Frau Merschmeyer ist die Herrin über das Asylheim und die Suppenküche. Bei ihr herrscht stets ein rauer Umgangston, der vor allem ihre Bediensteten Gretchen und Himmlischst trifft.

 

Max, Anton und Erich gehören zum rassistischen Kreis um Himmlischst. Pöbeleien und Hetze gegen die Juden im Asylheim sind bei ihnen an der Tagesordnung.

 

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Should a filmmaker satirize the life of Adolf Hitler? Can comedy serve as an effective tool for subversion, disempowerment and catharsis? The merit of Mein Kampf (My Struggle), a challenging spoof biopic, lies in its treatment of Hitler’s hubris. In the film, it is seen as ironic and comic, without undermining the deadly serious nature of the nightmare that Hitler’s political life unleashed on the world. Indeed, reducing him to a talentless, starving artist with megalomaniacal delusions of grandeur exposes the epic scope of Hitler’s derangement.

 

Set in Vienna in the early 20th century, this dark farce was five years in the making, and is an adaptation of the stage play by the late Hungarian playwright George Tabori. He was a secular Jew whose father perished at Auschwitz-Birkenau. The play was Tabori’s call to his German compatriots to face their national past through comedy, and director Urs Odermatt had originally wanted to launch a stage production. Unfortunately, he had difficulty finding a European city where it hadn’t already completed a successful run.

 

„l had a visit from my producer, Martin Lehwald from Berlin,“ remembers Odermatt on a telephone call from his home in Switzerland. „He asked me why l shouldn’t put my favorite play on the screen instead.“ Lehwald initially had difficulties getting the production rolling, but ultimately lined up € 2.7 million from a gaggle of backers in Germany, Austria and Switzerland.

 

„It takes place in 1910,“ says Odermatt. „In Europe, there is not a stone standing in the same place as in 1910, so it was a big challenge to rebuild the city and the streets, and everything as it was.“ Ultimately the film was shot mostly in the small town of Zittau on sets built to mimic the Austrian town. The 2008 European soccer championships made Vienna largely a no-go, but a few location shoots were squeezed in. Some filming in Hungary and Poland rounded out the shooting schedule. „We put four countries together to build one city,“ Odermatt jokes.

 

The story features an elderly Jew named Schlomo, who takes the young Hitler under his wing to help him survive life in the big city. An unsophisticated, mediocre artist, Hitler is neurotic, insecure and bereft of any other support. Schlomo, an everyman who strives for good, saves Hitler from himself time and again. The elderly mentor optimistically believes the troubled bumpkin must have some redeeming quality. To prepare him for an important interview with the Art Academy in Vienna, Schlomo gives Hitler his iconic slicked hairstyle and mustache, the better to hide his cleft palate. Hitler being ousted from the opera, and later being rescued from a drunken brawl, are scenes that Tabori employed to encourage audiences to laugh at the notorious villain and render absurd the signature salute and Swastika.

 

The allegorical story features two villagers, the mail messenger Death, and Schlomo’s friend God, who cautions him to adopt a more sober view of Hitler’s lack of talent and human decency. There is also Gretchen, a Faustian blonde from Tyrol, who succumbs to a downward spiral of corruption, and is eventually enlisted in a legion of murderous radicals.

 

„The film is not politically correct,“ says Odermatt, in a state-the-obvious moment. „It has a very strong and not always nice sense of humor, and that’s what l like in Tabori’s writing. The play is not careful, but it is authentic, and that is what l wanted for the film as well.“

 

In the film, Mein Kampf is penned not by the mustachioed future tyrant, but by Schlomo. When Hitler’s hate rhetoric gains him a following, he ultimately usurps the book, thus destroying any evidence of his indebtedness to his mentor. In the face of his utter lack of talent, Hitler’s tirades become more than disturbing. They are ridiculous. His inhumanity is exposed in juxtaposition with Schlomo’s good intentions. Unable to feed himself or pay his rent, Hitler tries everything from petty theft to plagiarism, until he discovers politics. Schlomo’s incredulity and continued kindness provide comic relief, believe it or not, even as his exasperation with Hitler grows. The wry humor and indomitable spirit that he and God exhibit throughout their dealings with the young Adolf take on a sense of poignancy as their good intentions go for naught.

 

Through irony and satire, the provocative story deflates the emotional charge of Hitler’s physicality and hate rhetoric, but it also requires much from the audience. As Odermatt points out, „You must realize that the play was very successful in Europe, so a lot of people know the play. They know what to expect when they see the film.“ That is not so much the case for the audience at Atlanta Jewish Film Festival. They will have to keep an open mind to a comedy, black though it may be, about the darkest figure in our history and the terror that he eventually wrought.

 

„You have to be ready to laugh when you see the film,“ says Odermatt, „even when it can hurt from time to time.“

Dr. Dawn D. Eidelman

Ready for a film about Hitler? That’s funny?

 

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Man muß sich dies einfach einmal vorstellen: Ein Jude, sein Name ist Herzl, herzt Hitler. Er putzt ihm die Schuhe, später wäscht er ihm die Füße. Schließlich ißt Herzl gar noch, was ihm das Liebste ist: ein Huhn. SS-Mann Himmlischst hat es geschlachtet und zubereitet. Nun ist dieses Huhn nicht einfach ein Huhn. Es ist ein Geschenk seiner Geliebten, und indem Herzl das Huhn verzehrt, ist’s, als äße er ein Stück von ihr.

 

Heikle Geschichten, durchaus. Zu erzählen gewagt hat sie George Tabori in Mein Kampf, 1987 am Wiener Akademietheater uraufgeführt. Wovon berichtet wird: Von Hitlers Aufenthalt in Wien (dort lebte er zwischen 1908 und 1913 in einem Obdachlosenasyl); von Hitlers vergeblichem Bemühen, in die Kunstakademie aufgenommen zu werden. Dieses Scheitern als Künstler sei, interpretieren Historiker rückblickend, ein für Hitlers Persönlichkeit prägendes Ereignis gewesen.

 

Tabori hat Hitlers Wiener Jahre in eine Farce verpackt und ein Stück voll schwarzem Humor geschrieben. Ohne zu moralisieren oder anzuklagen, demaskiert er mit einem Mix aus Fakten und Fiktion die schrecklich normalen Mechanismen, die letztlich zum verheerenden Krieg und zu Vernichtungslagern geführt haben. Nach der Uraufführung setzte Mein Kampf zu einem Siegeszug durch die deutschsprachigen Theater an. Einzig verfilmt wurde dieser filmreife Stoff noch nie. Das wird sich ändern. Letzte Woche wurde bekannt, daß sich eine deutsche Produktionsfirma die Rechte an Taboris Hitler-Farce gesichert hat. Und fest steht auch, wer Regie fuhren wird. Ein Nidwaldner, der in Windisch wohnt und in Berlin lebt: Urs Odermatt, 51, hier wie dort bekannt geworden als Drehbuchautor, Filmregisseur (Wachtmeister Zumbühl, 1994), Fernsehmann (Tatort, 1998} und Theatermacher (Trainspotting, 2005).

 

Für Urs Odermatt ist das alles eigentlich ein Glüdcsfall. Seit Jahren schon wollte er Mein Kampf auf die Bühne bringen und ist immer abgeblitzt. Dort, wo er anklopfte, war das Stück bereits gespielt. Natürlich wundert es einen, worin Odermatts Obsession für dieses Drama gründet. Die Antwort ist einfach: Es ist das Thema, der Text und der Ton, den Tabori anschlägt. Und noch etwas mehr: Die Faszination für die „politische Unkorrektheit des jüdischen Autors“, sagt Odermatt, „für seinen Umgang mit der eigenen Geschichte als auch mit jener rund um das furchtbare Schicksal seiner Leute.“

 

Es ist ein sarkastischer Umgang. Darf das eigentlich nur ein Jude? Kaum ist die Frage gestellt, kommt der Konter: „Was heißt darf? Einen solchen Stoff kann nur ein Jude schreiben! Dieser Humor ist so spezifisch jüdisch, daß es rein handwerklich niemand anderer hinkriegt“, sagt Odermatt und stellt Gegenfragen: „Sollen nur Juden über jüdische Stoffe schreiben? Nur Frauen über Frauen? Nur Schwule über Schwule? Nur Aargauer über Aargauer?“ Odermatts fragende Aufzählung ist die Antwort.

 

Viele Inszenierungen hat Urs Odermatt schon gesehen. Was er sah, hätte sein Luste arn Stück eigentlich stillen können. Hat es aber nicht. „Ich fand viele Inszenierungen schlecht, viele brillant,“ sagt er, „doch selbst unter den brillanten fand ich nirgends meinen Ansatz.“ Gesucht hat er „die Große, die Vision, den Humor“.

 

Tabori provoziert. Gab’s nie Berührungsängste? Odermatts „Nein!“ kommt schnell. „Wenn man“, erklärt er und meint damit wohl Tabori als Autor wie seine Arbeit an einem Tabori-Stück, „wenn man einen ernsthaften Ansatz hat, sich mit einem Stoff ernsthaft beschäftigt und eine künstlerische Unsetzung findet – selbst wenn sie böse ist – dann ist das nicht nur ein gültiger, sondern durchaus ein legitimer Weg.“

 

Mit Mein Kampf als Film betritt das Stück nun Neuland. Das kommt Odermatt gelegen. Mehr noch: Er wurde geradezu aufgefordert. Neuland zu betreten – von George Tabori selbst und seiner Agentin. Die beiden hätten ihm gesagt, sie würden nicht einfach eine „Kinoumsetzung des Theaterstückes erwarten“ – das hätte Tabori selbst hingekriegt. Nein. Die beiden erwarten „explizit eine neue Vision, neue Bilder und die Handschrift eines Regisseurs, der aufgrund eines bestehenden und oft gespielten Stücks eine neue Visualisierung findet.“

 

Nach diesem Freibrief von höchster Warte gings an die Arbeit. Das Drehbuch steht, allerdings nur „als Rohfassung“. Das signalisiert, wie es zu behandeln ist. „Work in progress“ nennt sich diese Form der Beschäftigung mit einem Text. Mit dieser Arbeitsweise begibt sich Odermatt in ein neues Gebiet. „Bisher“, sagt er, „habe ich jeweils das Drehbuch geschrieben und gleich selbst Regie geführt.“ Das waren Autorenfilme. Mein Kampf wird ein Produzentenfilm, bei dem er von Anfang an involviert war und mitentschieden hat, wer das Drehbuch schreibt und wie die Besetzung ist. Wenn alles klappt, wird der Film im Frühjahr 2008 in die Kinos kommen.

 

Übrigens: Als während der Proben zur Uraufführung der österreichische Schauspieler Hugo Lindinger erkrankte, übernahm George Tabori dessen Rolle als Lobkowitz und feierte damit einen seiner größten Erfolge als Autor, Regisseur und Schauspieler. Wäre ein solcher polyvalenter Einsatz mit spartenübergreifender Errolgsaussicht nicht auch eine Option für Urs Odermatt? „Nein“, sagt er und die Art, wie er es sagt, zerstört jeden Zweifel: „Weder in Mein Kampf noch sonst in einer Konstellation werde ich je von meiner Position hinter auf eine vor der Kamera wechseln.“

Marco Guetg

Wenn Herzl den Hitler herzt ein paar Fragen und Notate

 Aargauer Zeitung, Aarau, 27. November 2006

 

 

 

 

 

 

 

 

Ich möchte Gesten, Haltungen, Posen, Gänge, die Arrangements, das Wort, all die Dinge, die das Theater ausmachen, verdichten in Blicke, gesprochene Blicke selbstverständlich. Bühnenspiel raus. Augenspiel rein. Mit dem Wissen, daß für die Kamera die Augen der Schauspieler das Spiel transportieren. Opulentes Kammerspiel ist großartiges Kino. Erzählt von großartigen Schauspielern. Erzählt durch Blicke.

 

Mein Kampf nimmt Hitler die Ausrede des monströsen singulären Ausnahmetäters und rückt ihn in die Nähe eines durch die Zeit, die Umstände und die Menschen um ihn herum mitgeprägten und mitgestalteten Durchschnittsperversen. Dies hat etwas höchst beunruhigendes.

Urs Odermatt

Gretchen

Weine, mein Geliebter, damit ich endlich erfahre, was es auf sich hat mit euch Juden.

 

Schlomo Herzl

Vielleicht ist das der Sinn der Dichtung: Bei einem nackten Kind zu sitzen und dieser nackten Rose eine Geschichte zu erzählen.

 

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Adolf Hitler

Mein Blut ist rein wie Treibschnee. Ich entstamme einer Rasse zäh wie Leder. Flink wie Krupp-Stahl. Hart wie Windhunde.

 

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Lobkowitz

Du glaubst, du bist Schlomo Herzl. Und ich glaube, ich bin Gott. Beide könnten wir recht haben.

 

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Gretchen

Feldmaus zu Feldmaus, Hausmaus zu Hausmaus? Klar verstehe ich. Sie wollen mich poppen! Vögeln, pudern, bumsen. Und dann noch flachlegen. Vergessen Sie’s. Sie sind nicht mein Typ. Außerdem hab’ meine Tage, wie sie sehen.

George Taboris Mein Kampf wurde auf allen großen Bühnen gespielt, nur verfilmt wurde dieser filmreife Stoff noch nie. Jetzt kommt er in der Regie des Schweizers Urs Odermatt in die Kinos – erstmals zu sehen an den Solothurner Filmtagen.

 

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Es gibt literarische Stoffe, die rufen geradezu nach einer Verfilmung. Und unter dieser Spezies gibt es wiederum solche, die schreien geradezu danach.

 

George Taboris Mein Kampf gehört zu dieser Kategorie. Das hat mit dem Stoff dieser 1987 im Akademietheater in Wien uraufgeführten Farce zu tun, für die der Jude Tabori tel quel den Titel von Hitlers Propagandaschrift aus dem Jahre 1925 übernimmt.

 

Das ist die erste Irritation, und die zweite folgt sogleich. Die Handlung spielt in Wien, als der historische Hitler um 1910 – bettelarm, wütend und verunsichert – ankommt, um sich an der Kunstakademie zu bewerben. Er findet Unterschlupf in einem Männerasyl, wo er die Juden Schlomo Herzl und den Koch Lobkowitz kennen lernt. Der alte Herzl nimmt sich seiner an, tröstet den todbetrübten Hitler, als die Kunstakademie ihn ablehnt, stutzt ihm seinen buschigen Schnauzbart auf eine Bürste zurecht und empfiehlt ihm, in die Politik zu gehen. Herzl seinerseits sitzt gerade verzweifelt an der Fertigstellung seiner Memoiren, die er Mein Kampf nennen will...

 

Tabori beschäftigt sich in komödiantischer Form mit dem Trauma der Shoah. Und er tut dies mit einer Fülle an Bezügen, Anspielungen, Symbolen und Zitaten. Und weil das Wissen um die kommende Katastrophe immer auch mitschwingt, ist Mein Kampf letztlich eine bitterböse Farce.

 

Ein Filmstoff, oder? Und doch wurde Mein Kampf bisher nie verfilmt. Selbst die Filmrechte waren bis 2006 noch nicht vergeben. Gesichert hat sie sich der in Windisch lebende Urs Odermatt, der action-erprobte Tatort-Regisseur, der sich aber vor allem als Autorenfilmer (Gekauftes Glück, Wachtmeister Zumbühl) einen Namen gemacht hat.

 

Was Odermatt erhielt: ein ordentliches Budget (ca. vier Mio. Franken) und eine außerordentliche Besetzung. Den liebenswert-charmanten Schlomo Herzl spielt Götz George, den jungen Hitler Tom Schilling (Crazy), der gestisch erschreckend deutlich das mordende Monster spiegelt.

 

Den Kern der Geschichte gruppiert Odermatt um Herzl-Hitler. Das Wien der frühen 1910er-Jahre dient als Kulisse. Der latente Antisemitismus ist überall spürbar. In diesem Ambiente herzt Gutmensch Herzl den Hitler. Hitler sucht Halt. Er bedankt sich, und es fröstelt einen, wenn Hitler – das spätere Wüten antizipierend – sagt: „Jude, ich schätze deine Handreichungen. Wenn meine Zeit gekommen ist, werde ich dich angemessen entlohnen.“

 

Mit ruhigen Bildern werden wir in dieses Herzl-Hitler-Leben hineingeführt, aus dem Hitler sich immer mehr hinausbewegt. Odermatts Mein Kampf ist ein berührendes Crescendo. Hier ein Zeichen, dort eine Tat. Hier ein Satz, dort eine kleine Wende bis hin zur großen: Hitler wird Führer einer kleinen nationalistischen Gruppierung und zieht mit seinen Schergen nach Deutschland, um den Untergang anzurichten. Zuvor werden Herzl und Lobkowitz (Bernd Birkhahn) aber noch in einen Pseudoprozeß getrieben wegen Dingen, die sie nicht gemacht haben.

 

Sie verlieren. Daß sie auf der ganzen Linie verlieren werden, daran läßt das Schlußbild keinen Zweifel: Hand in Hand laufen Herzl und Lobkowitz nach hinten aus dem Bild und in gleißendes Licht. Nach und nach lösen sich ihre Konturen auf – bis sie ausgelöscht sind.

Marco Guetg

Der Jude Herzl hilft Hitler

AZ am Sonntag, Aarau, 24. Januar 2010