Urs Odermatt Arnold Odermatt The Odermatt Channel The Odermatt Shop Nordwest Film AG, alte Spinnerei 1, 5210 Windisch, Schweiz, +41 56 442 95 90, mail@nordwestfilm.ch Theater Stück Dramaturgie Inszenierung Presse Photos

Mit ekelhaften Szenen in der „dreckigsten Toilette Schottlands“ wurde Irving Welshs Suchtroman Trainspotting Kult. Die Bühnenfassung ist nun erstmals in der Schweiz zu sehen – Augenschein bei einer Probe vor Schulklassen.

 

„Ich bin, ich war. ist alles schnell vorbei. Ich bin, ich war, ist alles schnell vorbei. Ich bin, ich war, ...“ – Das rhythmisierte Flüstern wächst, schwillt in beängstigendem Crescendo an zum lärmend aufdringlichen Sprechchor, krallt sich im Kopf fest, und unwillkürlich weicht manch einer im Publikum leicht mit dem Oberkörper zurück. Als könnten sie nach uns greifen, uns mit hinabziehen in den Sumpf, der sich schon in den ersten Sätzen auftut da unten in der Arenabühne. Neun Menschen am Boden, bäuchlings, wie wilde Tiere in einem Zoogehege, beginnen sich zu rühren, kommen aus einem Alptraum zu sich, den Trainspotting episodenhaft ineinanderblendet.

 

lrving Welshs Roman macht es seinen Lesern nicht leicht, erzählt nicht wie am Schnürchen eine Geschichte des freien Falls, sondern macht die Auflösung aller Werte und Ordnungen, die fortschreitende Verwahrlosung bei gleichzeitiger Selbstüberschätzung erfahrbar. Allerdings ohne Psychologisierung, die Mitgefühl wecken könnte. Das Buch, der gleichnamige Film suggerieren den Absturz, spiegeln ihn ohne Filter.

 

Hier und jetzt ist es zum Glück Spiel, ästhetische Abstraktion: ein Schaulaufen der Scheußlichkeiten, die in der Bühnenfassung zwar hautnah und leibhaftig, aber vor allem via Sprache inszeniert werden. Noch probt Regisseur Urs Odermatt mit den neun Schauspielern des Ensembles; für gut sechzig Oberstufen-Schülerinnen und -schüler heißt das an diesem Vormittag zeitgeistig Making of Trainspotting: ein Schnupperkurs in  harter Knochenarbeit, zudem ein Angebot, miteinander ins Gespräch zu kommen. Denn Drogen sind allgegenwärtig. Suchterkrankungen kein Minderheitenphänomen. Und nicht nur Jugendliche sind eine Risikogruppe.

 

Urs Odermatt hat Drehbücher geschrieben, bei Regisseuren wie Krzysztof Kieślowski Lehrjahre verbracht und Tatort-Folgen abgedreht: Er ist kein Schulmeister, kein Psychologe, kein Sozialarbeiter. Er setzt sein Publikum, jeden für sich, allein auf einen schäbigen Vorstadtbahnhof und läßt verbale Hochgeschwindigkeitszüge vorbeidonnern. innere Schreckensbilder, ein Ausschnitt verdrängter Wirklichkeit: nichts anderes heißt Trainspotting. Klar kann man wegschauen und weghören, im Stadtpark, am Bahnhof und in Unterführungen. Doch das Problem geht tiefer; es hat zu tun mit scheiternden Begehungen, mit falschen Selbstbildern und leer laufenden Sehnsüchten. Trainspotting ist keine Gruseldokumenaation im Stile von Wir Kinder vom Bahnhof Zoo, erst recht kein pädagogisch wertvolles Aufklärungs- und Warnstück – das macht es für die Fünfzehnjährigen nicht unbedingt leichter, authentisch darauf zu reagieren und ohne Hemmungen über ihre Eindrücke zu sprechen. Offene Fragen ins Plenum können da fehlschlagen.

 

Wir alle wollen Helden sein, sagt Dramaturg Jan Demuth im Anschluß an den Einblick ins Stück, an die längere Arbeitssequenz mit Unterbrechungen und Wiederholungen – und erklärt dem zurückhaltenden Testpublikum, woher der Name Heroin, Bezeichnung einer synthetisch hergestellten Substanz aus der Medizin, ursprünglich kommt – und wie sich ihr Gebrauch gewandelt habe. Wenn nicht persönlich, so soll die Feedbackrunde wenigstens sachlich bleiben. Trainspotting zeige die Spitze des Eisbergs; Figuren, die selbstbewußt glauben, Helden ihres Lebens sein und frei für sich entscheiden zu können, während längst die Sucht bestimmt, wo es langgeht. Noch immer betretenes Schweigen im Foyer.

 

Darunter, so Demuth. schlummere eine süchtige Gesellschaft, die Heroin ursprünglich als Heilmittel erfunden hat. Die Ursachen krankhafter seelischer Symptome konnte sie damit nicht wegkurieren: das Leben in der Konkurrenzgesellschaft, die Kampfmuster im Verhältnis der Geschlechter, der Familien. Anschauungsmaterial hätte der homöopathisch dosierte Ausschnitt aus Odermatts Regiearbeit durchaus geboten: nackter, ungeschönter Text; zersplittert, multipliziert, übereinandergelegt zu einer schreiend dissonanten Sprechpartitur. Gewaltsamer Sex im Badezimmer, in der Wiederholungsschleife einer Arbeitsprobe noch stoßender. Werbegeklingel, Handlungen im Leerlauf, wie ferngesteuert.

 

Doch darüber reden? Nicht so einfach. Leichter ist Wegschauen. Es cool und locker wegstecken. Sich selber etwas vormachen. Sich hinter anderen verkriechen und unsichtbar machen. Auch das kann eine Lektion sein in Selbstwahrnehmung, später allein auf dem Heimweg. Wenn auch wohl nicht die Musterstunde fruchtbarer theaterpädagogischer Vermittlung.

Bettina Kugler

Wir sind Helden – Nicht nur ein Jugendstück

St. Galler Tagblatt, 26. April 2005

„Nach drei Stunden Proben fühlst du dich manchmal wie nach einer Gehirnwäsche“, seufzt Schauspieler und Regieassistent Florian Rexer. „Du drehst dich auf der Bühne im Kreis, blickst in eine Lampe und bekommst Worte oder Echos ins Ohr gebrüllt. Und da solltest du noch deinen Text beherrschen!“ Der Nidwaldner Regisseur Urs Odermatt (50) verlangt ihm und den acht Mitspielern bei seiner Adaption von Trainspotting am Theater St. Gallen alles ab. Wie der gleichnamige Kultfilm und die Romanvorlage handelt das Stück von jungen Erwachsenen, die mit ihrem Leben in einem Vorort von Edinburgh nicht zurecht kommen und ihm mit Hilfe von Drogen zu entfliehen suchen.

 

„Man könnte Junkies, die möglichst kaputt aussehen, auf die Bühne bringen, um das Publikum vor den Folgen der Sucht zu warnen“, meint Schauspieler Tim Lee. „Urs Odermatt arbeitet aber nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern geht ganz anders an den Stoff heran, als wir alle es gewohnt waren. Er packt ihn in eine ganz besondere Form, die hoffentlich auch zu einer neuen Auseinandersetzung mit dem Inhalt führen wird.“ Kaum ein Satz wird gesagt, der nicht vom Chor gebrochen oder durch assoziative Texte ergänzt würde. Bühnenbild und Requisiten gibt es nicht. Was erforderlich ist, lassen die Akteure pantomimisch, mittels ihrer Körper, sowie verbal vor dem geistigen Auge des Publikums entstehen.

 

Odermatt bekennt, daß er hohe Ansprüche stellt. „Die Darsteller müssen nicht nur alle sechsundsechzig Seiten des Textbuchs präsent haben, ich verlange auch superknappe Anschlüsse.“ Diese lassen weder den Schauspielern noch dem Publikum eine Atempause – was auch die Absicht des Film- und Theaterregisseurs ist. „Die choreographierten Worte wirken auf die Zuhörer wie eine Droge, deren Wirkung sie sich nicht entziehen können.“

 

Das Ensemble hat mehr Zeit benötigt, bis es nach den virtuosen Collagen süchtig wurde. „Schauspieler sind wie Kinder. Sie wollen die Rollen klar verteilen und die Charaktere danach sofort mit Aktion, Liebe oder Aggression beleben“, erklärt Rexer. „Wenn dann jemand kommt und ihnen sagt, sie müßten bei ihren Dialogen jedes dritte Wort weglassen, statt ihre Spielfreude wie gewohnt auszuleben, kann der Spaß schnell flöten gehen.“ Trotzdem ist Regisseur Urs Odermatt offen für Impulse aus dem Ensemble. Das stellt jedoch auch eine große Herausforderung dar. „Urs hat aber ein gutes Maß“, betont Rexer. „Er geht bis an den Punkt, wo du fast wahnsinnig wirst und ihn erwürgen möchtest, aber nie darüber hinaus!“

Reinhold Hönle

Das Kino erobert die Bühne

Coop-Zeitung, Basel, 27. April 2005

Trainspotting von Irvine Welsh